Die Schlingnatter im hessischen Spessart

Dez 18, 2012 by     Posted under: Geförderte Projekte 2007

Projektdurchführung: Daniela Dick
Fördersumme: 2.000 Euro
Originaltitel:

Populationsbiologische Untersuchung der Schlingnatter (Coronella austriaca) im hessischen Spessart bei Bad Orb

Mittels populationsbiologischer Methoden (Biometrie, Telemetrie, Populationsgenetik) ist eine Population der zu den kleineren Schlangenarten Europas zählenden Schling natter (Coronella austriaca) im Siedlungsrandbereich von Bad Orb (Hessen) im Jahre 2007 beschrieben worden. Zielsetzung der Studie war die Beschreibung einer Population der Schlingnatter (Coronella austriaca), im Hessischen Spessart bei Bad Orb, um ihren Bestand zu dokumentieren und eine eventuelle Gefährdung aufzuzeigen. Die Gründe einer möglichen Gefährdung des Schlingnatterbestandes liegen vor allem im drastischen Lebensraumverlust von 98 % der ursprünglichen Habitatgröße durch die Einstellung der landwirtschaftlichen Nutzung seit dem 19. Jh., der daraus resultierenden Verbuschung der Restflächen und der zunehmenden Besiedelung des Habitats durch den Menschen in den letzen Jahren. Die Beschreibung der Schlingnatterpopulation erfolgte durch drei Methoden, um Fehleinschätzungen des Bestandes durch eine punktuelle Betrachtung zu vermeiden.

Individualerkennung von Schlingnattern durch eine Fotokartei der Oberlippenbeschilderung

Individualerkennung von Schlingnattern durch eine Fotokartei der Oberlippenbeschilderung

Biometrie: Der Studie stand ein 17 Jahre beinhaltender Fang-Wiederfang Datensatz mit Individualerkennung der Schlingnatterpopulation zur Verfügung (Sauer 1997), aus dem für den allgemeinen Erkenntnisgewinn zur Biologie der Schlingnatter eine Lebenstafel erstellt wurde. Für die Altersbestimmung der Schlingnattern anhand ihrer Gesamtlänge wurde aus dem Datensatz eine Eichkurve erstellt. Die Geschlechtsbestimmung erfolgte sowohl durch die Berechnung des Verhältnisses von Kopf-Rumpf-Länge zu Schwanzlänge (Malkmus 1987) als auch durch des Verhältnisses der Gesamtlänge zur Schwanzlänge (Völkl & Käsewieter 2003). Das Geschlecht von Jungschlangen (< 30 cm) wurden zusätzlich anhand ihrer Kloakenmorphologie bestimmt (vgl. Najbar 2006). Die Berechnung der Populationsgröße ergab unter der Annahme einer geschlossenen Population eine konstante Individuenzahl von 233 (+/- 56), was für ein Habitat von ca. einem Hektar eine ungewöhnlich hohe Populationsdichte darstellt (Goddard 1984, Spellerberg & Phelps 1977, Käsewieter 2002) und das Untersuchungsgebiet als ein besonders geeignetes Schlingnatterhabitat hervorhebt. Im Verlauf der Populationsgrößenänderung zeigte sich die Erhöhung der Nachweiseffizienz von Reptilien durch Ausbringung künstlicher Versteckplätze (Mutz & Glandt 2004). Eine weitergehende Bearbeitung des Fang-Wiederfangdatensatzes mit dem Programm MARK sowie eine Diskussion zum Umgang mit Datensätzen schwer erfassbarer Reptilien werden diese Ergebnisse ergänzen (Dick & Gruber in Vorb.).

Schlingnatterweibchen mit Jungtier

Schlingnatterweibchen mit Jungtier

Telemetrie: In einer telemetrischen Beobachtung von Juni bis Oktober 2007 wurde an neun adulten Schlingnattern (sechs Männchen, drei Weibchen) untersucht, ob die Tiere den schmalen Randbereich des Untersuchungsgebietes zwischen Ortschaft (Bad Orb) und Forst (Hessischer Spessart) verlassen und auf Habitate im Umland, in dem seit 1990 vereinzelt Schlingnattern gesichtet worden sind, ausweichen. Alle beobachteten Schlingnattern verweilten jedoch während der Beobachtungszeit im Untersuchungsgebiet und es konnte kein Wanderverhalten festgestellt werden. Die Telemetrie wurde mit Implantationssendern durchgeführt, deren Gewicht 4,2 % des durchschnittlichen Körpergewichts einer adulten Schlingnatter ausmachten und somit keine Behinderung der Tiere verursachten (Újvári & Korsós 2000, Kenward 2001, Henle 1997). Der Gesund heitszustand der besenderten Tiere konnte dokumentiert werden (Dick et al. in Vorb.). Die Ergebnisse enthalten neben den Tages- und Gesamtwanderstrecken, die Häufigkeit des Sichtkontaktes und den Angaben zur Ortstreue an einzelnen Ortungspunkten auch die temperaturabhängige Mikrohabitatnutzung der einzelnen Tiere. Während der gesamten Beobachtungsdauer kam es in allen Fällen zu starken Revierüberlappungen. Die Ortstreue der Schlingnatter zeigte sich in einem einheitlichen Muster des Wanderverhaltens, bei dem ein oder zwei Sonnenplätze bevorzugt aufgesucht, andere Ortungspunkte jedoch nur vereinzelt und kurzfristig genutzt wurden. Die telemetrierten Tiere umgingen gezielt von Menschen genutzte/freigehaltene Flächen, oder hielten sich in diesen Bereichen besonders versteckt.

Populationsgenetik: Mit einer Mikrosatelliten-Analyse ist die genetische Struktur der untersuchten Schlingnatterpopulation in Bad Orb beschrieben worden. Eine Genflussschätzung mit zwei Vergleichspopulationen konnte aufgrund zu geringer Probenfunde nicht durchgeführt werden. Die DNA wurde aus drei Schuppenspitzen je Tier  gewonnen ohne die Tiere zu verletzen. Insgesamt konnten 51 Schlingnattern beprobt werden, von denen 32 Tiere aus dem Untersuchungsgebiet stammten. Die Extraktion der DNA verlief in allen Fällen erfolgreich, jedoch musste die DNA-Konzentration für die weitere Analyse durch Amplifikation erhöht werden. Die Mikrosatelliten-Analyse erfolgte mit fünf von für die Schlingnatter entwickelten Loci (Bond et al. 2005), von denen nur vier ausgewertet werden konnten. Alle vier Loci waren polymorph. Eine Abweichung von den nach Hardy-Weinberg erwarteten Genotypfrequenzen konnte nicht gefunden werden. Die Schlingnatter-Population bei Bad Orb befindet sich demnach im genetischen Gleichgewicht und zeigt keine Anzeichen von Isolation. Obwohl ein Migrationsverhalten bei adulten Schlingnattern nicht festgestellt wurde, kann dieses für juvenile nicht ausgeschlossen werden. Hinsichtlich der Konnektivität von Schlingnattervorkommen besteht auch weiterhin noch Forschungsbedarf.

Überwaldeter Lesesteinriegel

Überwaldeter Lesesteinriegel

Mit den drei Aspekten: Biometrie, Telemetrie und Genetik konnte keine direkte Gefährdung der Schlingnattern bei Bad Orb festgestellt werden. Eine konstante Populationsgröße und die Anpassung der Tiere durch kleinräumige und sich überschneidende Reviere, sowie das genetische Gleichgewicht zeigen, dass sich die Population auch auf der kleinen Restfläche des Gebietes etablieren konnte.
Das Aufzeigen der hohen Habitatqualität des südexponierten Hanges bei Bad Orb und seine Bedeutung für wärmeliebende Arten wie die Schlingnatter soll ein erster Schritt zum Erhalt dieses Lebensraumes ein. Wichtige Habitatstrukturen, wie die in der Region häufigen Lesesteinriegel, überwalden und sind somit nicht mehr als Sonnenplätze für die Tiere geeignet. Mit meiner Arbeit möchte ich zur Freihaltung der Flächen animieren, daher steht sie allen Interessierten und Zuständigen zur Verfügung. Diese Studie leistet einen Beitrag zum überregionalen Schutz und Erhalt einheimischer Arten, da die Schlingnatter eine Charakterart der für sie typischen Biotoptypen und eine Leitart der gesamten dort vorkommenden Biozönose darstellt. Ihr Erhalt gewährleistet somit auch den Schutz zahlreicher anderer Lebensformen, die auf diese Biotope angewiesen sind (Völkl & Kornacker 1993).

Danksagung
Mein Dank gilt Prof. Dr. Alfred Seitz (Universität Mainz, Abt. V: Ökologie) und Dr. Peter Haase (Forschungsinstitut Senckenberg, Abt. für Limnologie und Naturschutzforschung), die mir diese Arbeit ermöglichten. Weiter gilt mein Dank Dr. Horst Sauer, der mir nicht nur seinen kostbaren, seit 1990 aufgenommenen Fang-Wiederfang-Datensatz der untersuchten Schlingnatterpopulation im Namen der Cassebeer-Gesellschaft zur Verfügung stellte, sondern mir auch während der Freilandarbeiten mit Rat und Tat zur Seite stand. Für die finanzielle Unterstützung danke ich der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT).

Literatur

  • Bond, J.M., Porteous, R., Hughes, S., Mogg, R.J., Gardner M.G. & C.J. Reading (2005): Polymorphic microsatellite markers, isolated using a simple enrichment procedure, in the treatened smooth snake (Coronella austriaca). – Mol. Ecol. Notes, 5(1): 42-44(3).
  • Goddard, P. (1984): Morphology, growth, food habits and population characteristics of the Smoothsnake Coronella austriaca In SouthernBritain. – J. Zool. London 204: 241- 257.
  • Henle, K. (1997): Naturschutzrelevante Nebenwirkungen feldherpetologischer Methoden. – In: K. Henle & M. Veith (Hrsg.): Naturschutzrelevante Methoden der Feldherpetologie. – Mertensiella 7: 377-389.
  • Käsewieter, D. (2002): Ökologische Untersuchungen an der Schlingnatter (Coronella austriaca). – Dissertation, Universität Bayreuth.
  • Kenward, R.E. (2001): A manual for Wildlife radio tagging. – Academic Press, London, S. 306.
  • Malkmus, R. (1987): Die Reptilien im Landkreis Aschaffenburg. – Schriftenreihe Fauna Flora Landreis Aschaffenburg 1787/2: S.104.
  • Mutz, T. & D. Glandt (2004): Künstliche Versteckplätze als Hilfsmittel der Frei land foschung an Reptilien unter Berücksichtung von Kreuzotter (Vipera berus) und Schilngnatter (Coronella austriaca). – Mertensiella 15: 186-169.
  • Najbar, B. (2006): The occurrence and the characteristics of Coronella austriaca austriaca (Laurenti, 1768) (Serpentes: Colubridae) in western Poland. – Acta zoologica cracoviensia 49A (1-2): 33-40.
  • Sauer, A. (1997): Populationsökologische Langzeituntersuchung an freilebenden Schlingnattern (Coronella austriaca Laurenti, 1768) mit Hilfe der Fotoidentifikation. – Schriftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grundschulden in Bayern, Universität Bayreuth.
  • Spellerberg, I.F. & T.E. Phelps (1977): Biology, general ecology and behaviour of the snake, Coronella austriaca Laurenti 1768. – Biol. Journ. Lin. Soc., 9: 133-164.
  • Újvári, B. & Z. Korsós (2000): Use of radiotelemtry on snakes: A review. – Acta Zool. Academiae Scientarum Hungaricae 46 (2): 115- 146.
  • Völkl, W. & D. Käsewieter (2003): Die Schlingnatter – ein heimlicher Jäger. – Laurenti-Verlag, Zeitschrift für Feldherpetologie, Beiheft 6, S. 149.
  • Völkl, W. & P. Kornacker (1993): Konzeptionen für einen flächendeckenden Schutz unserer heimischen Schlangen – ein theoretischer Ansatz. – Mertensiella 3: 369-380.

Autorin: Daniela Dick

Dieser Artikel wurde veröffentlicht in der DGHT-Mitgliederzeitschrift: elaphe 4-2008

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