Die Blindschleiche in Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg

Nov 22, 2016 by     Posted under: Reptil des Jahres 2017: Die Blindschleiche

Die Blindschleiche in Österreich

Textautor: Werner Kammel – Österreichische Gesellschaft für Herpetologie (ÖGH)

Verbreitung der Blindschleiche in Österreich. Quelle: Herpetofaunistische Datenbank, Naturhistorisches Museum Wien.

Verbreitung der Blindschleiche in Österreich.
Quelle: Herpetofaunistische Datenbank, Naturhistorisches Museum Wien.

Die Blindschleiche besitzt in Österreich als sicherlich häufigste Reptilienart eine weite Verbreitung und kommt in allen neun Bundesländern vor. Sie ist gemäß den Naturschutzgesetzen und Artenschutzverordnungen aller neun Bundesländer streng geschützt und wird laut „Roter Liste“ in Österreich als „near threatened“ (Gefährdung droht) eingestuft. Verbreitungslücken existieren in alpinen Zonen, wobei hier die Datengrundlage naturgemäß dürftig ist. Verbreitete Vorkommen konnten bis zu einer Meereshöhe von etwa 2.000 m ü. NN dokumentiert werden. Der österreichische Höhenrekord ist in Kärnten auf annähernd 2.400 m ü. NN belegt. Der Verbreitungsschwerpunkt der Art liegt jedoch im Tal- und Hügelland. Eine Ausnahme stellen die vom pannonischen Klima beeinflussten Ebenen im Nordosten Österreichs dar (Niederösterreich: Weinviertel; Burgenland: „Seewinkel“ östlich des Neusiedler Sees). Hier liegen die jährlichen Niederschlagssummen bei etwa 600 mm, in einzelnen Regionen auch deutlich darunter. Die hier verbreitet vorhandenen sandig-schotterigen Bodenverhältnisse fördern zusätzlich eine geringe Bodenfeuchte. In diesen Regionen ist die Blindschleiche als ausgesprochene Seltenheit zu bezeichnen.
Die Blindschleiche besiedelt in Österreich eine Vielzahl von Lebensräumen und dringt auch weit in den menschlichen Siedlungsraum vor. Es werden sowohl gehölzfreie Wiesen und Gärten wie auch lichtarme Waldregionen besiedelt, ein Verbreitungsschwerpunkt ist in Mischwäldern und Grünanlagen festzustellen. Etwa die Hälfte aller Fundmeldungen stammt von Waldrändern und -lichtungen. Besonders hohe Dichten konnten vor allem in feuchtgründigen Laubwäldern, Laub-/Nadelmischwäldern und Uferbegleitgehölzen beobachtet werden. Die Bestandsdichte der Blindschleiche wird aufgrund ihrer versteckten Lebensweise meist unterschätzt. Im Zuge von Bestandserhebungen zu Reptilienvorkommen in der Steiermark, bei denen künstliche Verstecke eingesetzt wurden (meist 1 m² große sogenannte „Schlangenfallen“), konnten schon innerhalb kurzer Zeiträume bis zu sieben Individuen je künstlichem Versteck und Kontrollgang angetroffen werden.

 

reptil-des-jahres-2017-blindschleiche-anguis-fragilis_lebensraum-5-1

reptil-des-jahres-2017-blindschleiche-anguis-fragilis_lebensraum-5-2

 

 

 

 

 

 

 

 

Beispiele für die vielfältigen Lebensräume der Blindschleiche in Österreich (links: Nebenbach der Mur, Steiermark, Foto: W. Kammel; rechts: Nationalpark Kalkalpen, Oberösterreich, Foto: J. Hill)
Im menschlichen Siedlungsbereich kann die Blindschleiche besonders häufig in Komposthaufen und Holzlagerstätten beobachtet werden. Als lebendgebärende (beziehungsweise ovovivipare) Art ist sie zwar nicht auf klassische Eiablageplätze für Reptilien, wie sie durch Komposthaufen geschaffen werden, angewiesen, doch sind in derartigen Strukturen sowohl eine erhöhte Bodenfeuchte als auch eine hohe Dichte ihrer bevorzugten Beutetiere gegeben. Wie bei allen mitteleuropäischen Reptilienarten spielt ein durch Vegetation, Totholz oder Gestein gebildeter Strukturreichtum des Lebensraumes die bedeutendste Rolle. Als limitierender Faktor ist in erster Linie ein zu geringer Feuchtigkeitsgehalt des Bodens festzustellen. In menschlichen Siedlungsgebieten sind als wichtigste Gefährdungsfaktoren vermutlich Hauskatzen und die zunehmend hohen Bestände von Krähen hervorzuheben. Aber auch durch die maschinelle Mahd werden regelmäßig viele Individuen getötet. Dies trifft vor allem auf Mähtätigkeiten in landwirtschaftlich geprägten Bereichen zu; insbesondere die Mulchmahd und das „Schlegeln“ durch zunehmend schwere landwirtschaftliche Maschinen verursacht sowohl eine erhöhte Mortalität der dort lebenden Kleintierarten als auch eine fortschreitende Bodenverdichtung.

Die Blindschleiche ist die häufigste Reptilienart in Österreich, Foto: B. Trapp

Die Blindschleiche ist die häufigste Reptilienart in Österreich, Foto: B. Trapp

Zum Schutz der Blindschleiche kommt vor allem einer Bestandskontrolle räuberischer Hauskatzen eine besondere Bedeutung zu. Die in Österreich unlängst eingeführte Kastrationspflicht von sich im Freien aufhaltenden Hauskatzen stellt einen ersten Schritt dazu dar. Maßnahmen zur Lebensraumverbesserung liegen in der Förderung des Strukturreichtums, der insbesondere in naturnahen Gärten geschaffen wird:
Eigenkompostierung, Totholz, Staudenfluren und Wiesenflächen mit niedriger Mähfrequenz an Stelle eines englischen Rasens bieten geschützte Versteckmöglichkeiten und ein reichhaltiges Nahrungsangebot. Auch auf Erhaltung und Förderung stufig aufgebauter Waldränder mit Strauchgehölzen und Staudensaum ist gesonderter Wert zu legen. Nur schwer vermeidbar sind die Verluste durch Mähtätigkeiten. Diese sind am ehesten durch Höherstellen des Mähwerkes auf ca. 10 cm zu reduzieren. Sofern möglich, soll eine Mahd bei Temperaturen und zu Uhrzeiten mit geringer Aktivitätsrate der Blindschleiche durchgeführt werden (bei Temperaturen unter 12 °C oder über 28 °C; bei starker Bewölkung oder intensiver Sonneneinstrahlung)

Die Blindschleiche in der Schweiz und in Liechtenstein

Textautoren: Andreas Meyer, Jürgen Kühnis & Sylvain Ursenbacher – Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch)

Verbreitung der Blindscheiche in der Schweiz und in Liechtenstein auf der Basis von 25-km²-Quadranten. Zahlreiche nach 2000 nicht mehr bestätigte Quadranten dürften auf fehlende Kartierungsaktivität zurückzuführen sein.

Verbreitung der Blindscheiche in der Schweiz und in Liechtenstein auf der Basis von 25-km²-Quadranten. Zahlreiche nach 2000 nicht mehr bestätigte Quadranten dürften auf fehlende Kartierungsaktivität zurückzuführen
sein.

Blindschleichen sind in der Schweiz und in Liechtenstein in zwei Arten weit verbreitet. Die Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis) besiedelt die Regionen nördlich der Alpen sowie die südalpinen Graubündner Täler Bergell und Puschlav. Im Tessin und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Misox- und im Calanca-Tal kommt hingegen die Italienische Blindschleiche (Anguis veronensis) vor. Unklar ist derzeit, welche der beiden Arten das Münstertal im Südosten der Schweiz besiedelt. Blindschleichen scheinen hier äußerst selten zu sein, allfällige Vorkommen dürften aber mit jenen im italienischen Vinschgau in Verbindung stehen. Derzeit besteht noch keine abschließende Klarheit darüber, ob eine Hybridisierung (Vermischung) der beiden Arten in der Schweiz stattfindet. Morphologisch sind sie kaum voneinander zu unterscheiden. Das Verbreitungsgebiet von Anguis fragilis weist in der Schweiz und in Liechtenstein nur im Alpenraum markante Lücken auf, wo Höhenlagen von über 2.000 m ü. NN in der Regel nicht mehr oder nur vereinzelt in besonderen Gunstlagen besiedelt werden. Ob die Blindschleiche in weiten Teilen des Unterengadins tatsächlich fehlt oder ob die schwer nachweisbare Art hier bisher nur übersehen wurde, müssen weitere Kartierungen zeigen. Die Höhenverbreitung der Blindschleiche reicht von den tiefsten Lagen der beiden Länder, namentlich dem Rheinhafen bei Basel (250 m ü. NN) beziehungsweise dem Rugeller Riet (430 m ü. NN) bis auf mindestens 2.100 m ü. NN bei Soglio im Bergell sowie 1.900 m ü. NN im Valüna-Tal. Als Ubiquist besiedelt die Blindschleiche in der Schweiz und in Liechtenstein ein breites Spektrum an Lebensräumen, von den Tief- bis in die Gebirgslagen. Selbst eher schattige Hanglagen mit teilweise nördlicher Exposition können Vorkommen beherbergen. Grundsätzlich werden Habitate präferiert, die eine ausgeprägte Kraut- und Altgrasvegetation sowie eine gewisse Feuchtigkeit aufweisen In sehr trockenen Habitaten der inneralpinen Täler, insbesondere in den Walliser Felsensteppen, aber auch im Engadin oder Münstertal, scheint die Art seltener zu sein oder lokal zu fehlen.

Als Kulturfolgerin besiedelt die Art auch strukturreiche Habitate im Siedlungsgebiet, Foto: J. Kühnis

Als Kulturfolgerin besiedelt die Art auch strukturreiche Habitate im Siedlungsgebiet, Foto: J. Kühnis

Als Kulturfolgerin kann die Blindschleiche in stark anthropogenen Lebensräumen in hohen Bestandsdichten vorkommen. Vor allem in den besiedelten Tieflagen der beiden Länder gehören Verkehrsbegleitflächen (Böschungen, Ruderalstandorte) sowie strukturreiche Hausgärten zu den wichtigsten verbleibenden Lebensräumen. Die Art wird allerdings überdurchschnittlich häufig aus dem Siedlungsgebiet gemeldet, wo die Tiere bei Gartenarbeiten gefunden oder von Hauskatzen aufgestöbert werden. In anderen Lebensräumen ist sie teils nur schwer nachzuweisen, wenn nicht gezielt künstliche Verstecke (Blech- und Bitumenplatten oder Ähnliches) eingesetzt werden. Beispielsweise gelangen im Rahmen einer Reptilienkartierung in einem Auengebiet der Aare zwischen Thun und Bern während einer Feldsaison 267 Nachweise der Westlichen Blindschleiche; 265 Beobachtungen erfolgten unter den ausgelegten Bitumenplatten, nur zwei waren Sichtbeobachtungen. Es liegen weder für die Schweiz noch für Liechtenstein zuverlässige Daten zur Bestandsentwicklung während der letzten Jahrzehnte vor. Die Art dürfte aber wie andere Reptilienarten auch in den Tallagen unter einem generellen Habitatverlust als Folge intensivierter Landwirtschaft leiden – hier vor allem durch den Verlust von Kleinstrukturen und Saumbiotopen. Eher positiv könnten sich hingegen Gewässerrevitalisierungen sowie die Anlage von naturnahen Gärten und vor allem ökologisch aufgewertete Verkehrsbegleitflächen auswirken.

Subalpiner Lebensraum der Blindschleiche und anderer Reptilienarten auf 1.600 m ü. NN im Kanton Wallis, Foto: A. Meyer

Subalpiner Lebensraum der Blindschleiche und anderer Reptilienarten auf 1.600 m ü. NN im Kanton Wallis, Foto: A. Meyer

Gleichzeitig erweisen sich aber moderne Maschinen zum Unterhalt von Bahn- oder Straßenbegleitflächen zunehmend als höchst problematisch für die Blindschleiche und die häufig syntop lebende Zauneidechse, aber auch für andere Reptilienarten. Neben dem Verlust von Individuen durch den intensiven Maschineneinsatz führt der stark mechanisierte Pflegebetrieb meist auch zu einer Degradierung des Lebensraums Im Berggebiet dürfte die Intensivierung der Landwirtschaft auf maschinengängigen Flächen ebenfalls zu den Hauptgefährdungsursachen gehören. Konträr gehen aber auch durch die Aufgabe der land- oder alpwirtschaftlichen Nutzung wertvolle Blindschleichen-Lebensräume verloren, wenn diese verbuschen und verwalden. Trotz eines nur schwer quantifizierbaren Rückgangs in den vergangenen Jahrzehnten gilt Anguis fragilis in der Schweiz und in Liechtenstein als nicht gefährdet. Die Art ist aber wie alle anderen Reptilienarten in beiden Ländern (CH: Natur- und Heimatschutzgesetz von 1967; FL: Gesetz zum Schutz von Natur und Landschaft von 1996) vollständig geschützt.

Wie alle anderen Reptilienarten ist auch die Blindschleiche in der Schweiz und in Liechtenstein geschützt, Foto: A. Meyer

Wie alle anderen Reptilienarten ist auch die Blindschleiche in der Schweiz und in Liechtenstein geschützt, Foto: A. Meyer

 

 

 

 

 

 

 

Die Blindschleiche in Luxemburg

Textautoren: Edmée Engel & Roland Proess – Musée Nationale d`Histoire Naturelle (Nationalmuseum für Naturgeschichte)

reptil-des-jahres-2017-blindschleiche-anguis-fragilis_luxemburgDie ersten publizierten Angaben zur Verbreitung der Blindschleiche (franz. Orvet fragile, lux. Blannschlécher) in Luxemburg aus den Jahren 1870 und 1922 bezeichnen die Art als weit verbreitet und häufig. Spätere Veröffentlichungen bestätigen diese Angaben, geben allerdings an, dass die Art die Hochlagen des Öslings meidet. Aktuell ist die Blindschleiche in Luxemburg weit verbreitet und relativ häufig und gilt als ungefährdet. In den letzten Jahren gelangen bei intensiven Untersuchungen zur Verbreitung von Mauereidechse, Zauneidechse und Schlingnatter auch zahlreiche Nachweise der Blindschleiche, sodass mittlerweile deutlich mehr Vorkommen bekannt sind, als noch auf der nebenstehenden Verbreitungskarte von 2007 dargestellt. Angaben zu Populationsgrößen liegen allerdings nicht vor, bei den meisten Nachweisen handelt es sich um Einzelbeobachtungen. In den an Luxemburg angrenzenden Regionen Lothringen, Wallonien und Rheinland-Pfalz gilt die Blindschleiche ebenfalls als weit verbreitet und häufig. Auch in Luxemburg dürften die intensive Landwirtschaft (häufige Mahd, Einsatz von Bioziden, Umbruch von Grünland) und die Ausdehnung der bebauten Flächen (Siedlungen, Straßen, Industrie- und Aktivitätszonen) die wichtigsten Gefährdungsursachen sein.

Auch in Luxemburg ist die Blindschleiche geschützt, aber noch relativ weit verbreitet und häufig, Foto: A. Kwet

Auch in Luxemburg ist die Blindschleiche geschützt, aber noch relativ weit verbreitet und häufig, Foto: A. Kwet

Außerdem bedrohen diese Art Unterhaltungsarbeiten an Böschungen von Straßen und Wegen (durch Mulchgeräte, Saugmäher, Abflämmen), der Einsatz von Bioziden in Gärten, der Straßenverkehr und auch die direkte Verfolgung durch den Menschen (Totschlagen der vermeintlich gefährlichen „Schlange“). Daher gelten als wichtigste Schutzmaßnahmen der Erhalt strukturreicher Lebensräume mit ausreichendem Angebot an Verstecken und Nahrung, der Verzicht auf Biozide und die Aufklärung der Bevölkerung (Schlangenfurcht). Wie alle Reptilien ist auch die Blindschleiche in Luxemburg durch das nationale Naturschutzgesetz geschützt.

 

 

 

 

This page as PDF Download als PDF