Das Leben einer Schlingnatter

Nov 12, 2012 by     Posted under: Reptil des Jahres 2013: Die Schlingnatter

Die Schlingnatter ist relativ weit verbreitet und doch kennt man sie kaum, denn sie lebt sehr versteckt und man muss schon genau hinsehen, um sie zu entdecken.

Jahres- und Tagesaktivität

Wie alle Reptilienarten ist auch die Schlingnatter von  den Klima- und Wetterverhältnissen abhängig, nach denen sich ihre Jahres- und Tagesaktivität richtet. Meist Mitte/Ende März bis Anfang April verlässt sie das Winterquartier. Im April und vor allem im Mai beginnt die Paarungszeit. In diesem Zeitraum ist die Schlingnatter oft zu beobachten, da sie aufgrund der noch verhältnismäßig geringen Außentemperaturen ein erhöhtes Sonnenbedürfnis aufweist. Dabei liegt sie je nach Witterung häufig offen auf meist dunklem, sich durch die Sonnenenergie gut und rasch erwärmendem Substrat wie Rohböden oder Gestein, aber auch auf oder zwischen trockener vorjähriger Grasvegetation, um möglichst rasch ihre Vorzugstemperatur von etwa 25–30 °C zu erreichen. Dieses Verhalten ist auch im Spätsommer und Herbst zu beobachten; in dieser Zeit ist die Natter von den späteren Morgenstunden bis in den Nachmittag hinein oberirdisch aktiv. Das gilt für bedeckte, kühle oder regnerische Tagen auch im Sommer, ansonsten zeigt sich dann meist ein anderes Bild: Aufgrund der im Sommer in der Regel stärkeren Sonneneinstrahlung und damit verbunden deutlich höheren Außentemperaturen ist die Schlange oft nur in den Morgen und/oder späteren Nachmittags- beziehungsweise Abendstunden beim Sonnen zu beobachten. Oft verweilt sie selbst dabei noch in ihrem Versteck und erreicht die erforderliche Körpertemperatur durch direkten Körperkontakt mit dem sich erwärmenden Substrat wie Steinen. In kürzester Zeit kann so bereits die Vorzugstemperatur erreicht werden, und die Schlange begibt sich anschließend beispielsweise auf Nahrungssuche. An besonders warmen beziehungsweise heißen Tagen kann die Schlingnatter ihre Aktivität in die späten Abend- oder sogar Nachtstunden verlagern. Die Winterquartiere werden nach der gut 7–8-monatigen Aktivitätsphase von Frühjahr bis Herbst meist ab Oktober (bis Anfang November) aufgesucht. Die Winterruhe dauert in Mitteleuropa in der Regel 4–5 Monate.

Fortpflanzung

Schlingnatter Geburt

Bei der Geburt sind junge Schlingnattern von einer feinen Eihaut umgeben. Deutlich sind neben den Schlangen die rötlich gefärbten Dottersäcke zu sehen; Foto: T. Prohl

Schlingnatter bei der Paarung

Bei der Paarung hält das Männchen seine Partnerin mit einem Kopfbiss fest; Foto: K. Mebert

Mit Beginn des dritten beziehungsweise vierten Lebensjahres werden Schlingnattern geschlechtsreif. Die Paarung erfolgt in der Regel im April und Mai, vereinzelt können auch Paarungen im Spätsommer oder Herbst beobachtet werden. Zunächst umkriecht das Männchen das Weibchen einige Zeit, bis beide Körper auf gleicher Höhe parallel beieinander liegen. Dann legt es seinen Kopf auf den Nacken des Weibchens, beißt nicht selten sogar hinein, um ein Entkommen der Partnerin zu verhindern. Die anschließende Kopulation, bei der ein Hemipenis (das bei Schlangen paarig angelegte Begattungsorgan) des Männchens in der Kloake des Weibchens verankert wird, dauert meist 20–45 Minuten, wobei sich die Tiere mit den vorderen Körperhälften voneinander entfernen. Schlingnattern sind ovovivipar, das heißt, sie gebären vollständig entwickelte Jungtiere, deren Embryonalentwicklung in den eigenen Eihüllen, ohne Nährstoffversorgung durch den mütterlichen Organismus erfolgt. Nach einer 4–5 monatigen Tragzeit werden die Jungtiere zumeist Ende August bis Anfang September geboren. Schon während des Geburtsvorganges beziehungsweise unmittelbar danach befreien sich die Jungtiere aus den dünnen Eihüllen und sind nunmehr vollkommen selbständig.

Die durchschnittliche Wurfgröße liegt bei 6–8 Jungtieren, die bei der Geburt um die 15–20 cm lang und etwa 2,5–3,5 g schwer sind. Große Weibchen können zum Teil deutlich mehr Jungtiere (bis zu 19) gebären. In Mitteleuropa nehmen Schlingnatterweibchen oft nur jedes zweite Jahr an der Fortpflanzung teil, da die Körperkonstitution nach dem Gebären erst wieder ausreichend hergestellt sein muss, um die Eianlagen für einen erneuten Reproduktionszyklus bilden zu können.

Nahrung und Nahrungserwerb

In Weinbaugebieten ernähren sich Schlingnattern bevorzugt von Mauereidechsen

In Weinbaugebieten ernähren sich Schlingnattern bevorzugt von Mauereidechsen (Podarcis muralis); Foto: P. Zimmermann

Die Schlingnatter wird oft als typische Echsenfresserin bezeichnet. Doch die verschiedensten Untersuchungen zeigen, dass ihr Beutespektrum durchaus umfangreicher ist. So gehören neben Halsbandeidechsen und der Blindschleiche auch Schlangen (Kreuzottern und selbst Artgenossen) sowie Kleinsäuger (Echte Mäuse, Wühl- und Spitzmäuse) zu ihrem Beutespektrum. Vereinzelt wird auch von Eidechseneiern, Jungvögeln und Vogeleiern als Beute berichtet. Amphibien (Grasfrosch, Knoblauchkröte) sowie größere Insekten und Regenwürmer konnten nur in Ausnahmefällen als Beutetiere nachgewiesen werden. In jedem Fall gibt es bei Schlingnattern regionale Unterschiede, was die Zusammensetzung des Beutespektrums betrifft. Während sich Tiere in den Weinanbaugebieten im westlichen Deutschland in erster Linie von Mauereidechsen (Podarcis muralis) ernähren, nehmen bei Vorkommen in Moorheide- oder Waldgebieten Kleinsäuger einen wesentlichen Bestandteil ein. Aber auch zwischen Jung- und Alttieren konnten Unterschiede hinsichtlich der Nahrungswahl festgestellt werden. Während juvenile Exemplare in erster Linie auf junge Blindschleichen und kleine Eidechsen als Erstnahrung angewiesen sind, werden Kleinsäuger – und hier im Wesentlichen nestjunge Mäuse – entsprechend ihrer Größe nur von älteren Tieren gefressen. Als „Stöberjägerin“ streift die Schlingnatter bei der Nahrungssuche im Gelände langsam und aufmerksam umher, wobei sie sich in erster Line am Geruch möglicher Beutetiere orientiert, den sie durch intensives Züngeln registriert. Dabei werden kleinste Geruchsmoleküle mit der Zunge aufgenommen, im Mundinneren am Gaumendach abgestreift und dort über das sogenannte Jacobson’sche Organ wahrgenommen und zugeordnet. So ist die Natter in der Lage, Mauereidechsen selbst in dunklen Spaltensystemen von Weinbergmauern exakt zu orten oder auch Kleinsäuger beziehungsweise deren Nester mit Jungen in den Nagerbauen oder unter Baumrinden und Steinen aufzustöbern. Hat sich die Schlingnatter langsam an ein Beutetier herangeschlichen, stößt sie blitzschnell zu und ergreift das Opfer mit ihren spitzen Zähnchen, um es dann mehrfach zu umschlingen (daher der Name Schlingnatter). Auf diese Weise wird das Beutetier in seiner Atmung behindert und im „Idealfall“ erstickt. Anschließend wird es, zumeist mit dem Kopf voran, langsam verschlungen. Dieses Verhalten zeigen bereits neugeborene Nattern beim ersten Beuteerwerb. Kleinere Beutetiere, wie etwa nestjunge Mäuse, werden nur mit dem Maul ergriffen, zumeist nicht umschlungen und anschließend direkt verschlungen. Den Flüssigkeitsbedarf decken Schlingnattern weitestgehend durch die Aufnahme von beispielsweise Tautropfen an der Vegetation – oder sie trinken aus Pfützen oder anderen Wasserstellen.

Feinde

Die Schlingnatter hat eine Reihe natürlicher Fressfeinde. Bei den Säugetieren sind es vor allem marderartige Raubtiere wie Iltis und Hermelin, aber auch Fuchs und Igel; das Wildschwein zählt ebenfalls zu den natürlichen Feinden. In Siedlungsnähe sind es Hauskatzen, die insbesondere bei den Jungschlangen zu Verlusten führen können. Bei den Vögeln ist als Hauptbeutegreifer der Mäusebussard zu nennen, aber auch Weißstorch, Uhu und Waldkauz sowie Drosseln, die vor allem Jungtiere erbeuten, konnten schon als Prädatoren nachgewiesen werden. Daneben dürften sicher weitere Greifvögel wie zum Beispiel der Rotmilan oder diverse Rabenvögel zu den natürlichen Feinden zählen. Juvenile Schlingnattern können auch Smaragdeidechsen oder sogar eigenen ausgewachsenen Artgenossen zum Opfer fallen.

Lebensräume

Lebensraum der Schlingnatter: Südexponierte Blockhalden und licht bewaldete Hänge

Südexponierte Blockhalden und licht bewaldete Hänge bieten der Schlingnatter ideale Lebensräume; Foto: A. Nöllert

Die Schlingnatter besiedelt eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensräume mit offenem und halboffenem Charakter. Alle zeichnen sich durch eine heterogene, deckungsreiche Vegetationsstruktur und ein Mosaik aus Versteck- und Sonnenplätzen aus. In Mitteleuropa lässt sich die Schlingnatter als Wärme und Trockenheit liebende (xerothermophile) Art charakterisieren, wenngleich sie auch vereinzelt in feuchten bis sehr feuchten Lebensräumen anzutreffen ist. Im Norddeutschen Tiefland finden wir die Schlingnatter in degenerierten Hochmooren und ihren Randbereichen, in den Küstenheiden Mecklenburg-Vorpommerns, in lichten Kiefernwäldern, wie sie zum Beispiel in Brandenburg oder im östlichen Vorpommern noch existieren, oder auch in offenen Stieleichen-Birkenwäldern. Diese Lebensräume dürften schon immer als ursprüngliche Habitate, sogenannte Primärlebensräume, von der Schlingnatter besiedelt worden sein, wenngleich sich ihr heutiger Zustand durchaus verändert hat. Eines der wichtigsten Primärhabitate stellen die verschiedensten Felsstandorte mit Blockschutthalden und angrenzenden Gebüschen und lichten Waldbereichen dar, vor allem die steil abfallenden, sonnenexponierten Hänge entlang von Flusstälern. Auch offene Felsbereiche, zum Teil mit Mager-, Halbtrocken- und Trockenrasen, oder Blockschutthalden inmitten der Wälder vieler Mittelgebirge sind ursprüngliche Lebensräume der Schlingnatter.

Lebensraum der Schlingnatter: Bahndämme und trockene Böschungen mit einem lichten Bewuchs

Bahndämme und trockene Böschungen mit einem lichten Bewuchs werden oft von Schlingnattern besiedelt; Foto: A. Meyer

Daneben wird heute eine Vielzahl durch den Menschen geprägter Habitate besiedelt. So ist die Schlingnatter eine typische Art der Weinbergregionen. Hier findet sie entlang der vielen älteren Trockenmauern geeignete Sonn- und Versteckmöglichkeiten. Oft dienen die Mauern zudem als ideale Winterquartiere. Das Gleiche gilt für alte Gemäuer und Burgruinen. Des Weiteren ist die Art in der extensiv genutzten Kulturlandschaft, wie etwa in Streuobstwiesen oder auf den durch Weidebetrieb entstandenen Wacholderheiden vertreten. Auch die verschiedensten Abbaustellen (Steinbrüche, Kies-, Sand-, Lehm- und Tongruben) werden von der Schlingnatter als Sekundärhabitat angenommen, ebenso wie (felsige) Weg- und Straßenböschungen, Bahnböschungen beziehungsweise -dämme oder Freileitungstrassen in Waldgebieten. Diese linearen und strukturreichen Biotope stellen zudem geeignete Ausbreitungskorridore dar. Bedeutende Vorkommen der Schlingnatter gibt es heute auch auf stillgelegten ebenso wie in Nutzung befindlichen Truppen- und Standortübungsplätzen. In der Agrarlandschaft kommt die Art entlang gehölzbestandener Steinriegel, auf Ruderalflächen sowie entlang strukturreicher  Feldwege mit größeren Lesesteinhaufen vor. Im südlichen Deutschland stellen selbst natürlich gestaltete und strukturreiche Gärten oder Parkanlagen in Dörfern und Städten einen Lebensraum für Schlingnattern dar.

Überwinterung/Winterquartiere

Wichtige Sonn-, Versteck- und Überwinterungsplätze sind Trockenmauern

Die Trockenmauern in Weinbergen bilden wichtige Sonn-, Versteck- und
Überwinterungsplätze für Schlingnatter; Foto: D. Alfermann

Im Oktober (bis Anfang November) werden die Winterquartiere aufgesucht. Die Überwinterung erfolgt geschützt in frostfreien Verstecken. Das können Erdlöcher, Kleinsäugerbaue, aber auch Felsspalten oder Trockenmauern sein. Aus der Lüneburger Heide wurden auch oberflächennahe Quartiere unter Moospolstern bekannt; dies lässt vermuten, dass die Schlingnatter kurze, niedrige Frostperioden übersteht. Nicht selten überwintern mehrere Individuen im selben Quartier, das durchaus jedes Jahr erneut und auch aus größerer Entfernung zielgerichtet aufgesucht werden kann. In „warmen“ Wintern können einzelne Individuen ihr Versteck für kurze Zeit verlassen und ans Tageslicht kommen.

 

 

 

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