Gefährdung und Schutz der Mauereidechse
Bezogen auf ihr Gesamtareal in Europa, ist der Bestand der Mauereidechse derzeit nicht gefährdet. Nördlich der Alpen allerdings gilt die Art in den meisten Ländern als gefährdet: Sie geht im Bestand zurück oder die Zukunftsaussichten sind zumindest schlecht. Noch vor wenigen hundert Jahren war die Mauereidechse in ihren Primärlebensräumen (z. B. naturnahe Flüsse mit Abbruchkanten und Schotterbänken, Felsen, Blockhalden und trockenwarme, lichte Laubwälder) zusammenhängend verbreitet. Diese natürlichen Lebensräume sind heute nahezu zerstört.
Als Kulturfolgerin ist es der Art gelungen, anthropogene Standorte wie Trockenmauern in Weinbergen, Ruinen, Bahnhöfe und Bahnstrecken zu besiedeln. Die Folge: Das früher geschlossene Verbreitungsgebiet wurde immer mehr verinselt. In landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten oder in Bereichen, in denen die Mauereidechse auf die trockenwarmen Standorte an den Fließgewässern angewiesen war, wie z. B. im Schwarzwald, ist sie nahezu ganz verschwunden. Vor etwa 50 Jahren haben Weinbauflurbereinigungen immer stärker zugenommen – die Trockenmauern wurden beseitigt, verfugt oder durch Betonmauern ersetzt, Ruinen saniert, und die lichten Wälder sind zu dichten Hochwäldern durchgewachsen. Auch die Intensivierung der Landnutzung hat dazu beigetragen, dass Lebensräume immer kleiner oder ganz zerstört wurden. Die Mauereidechse wurde daher immer seltener und stand zeitweise in allen Ländern nördlich der Alpen sowie in allen Bundesländern auf der Roten Liste. Vor etwa 20 Jahren hat es dann bei der Bundesbahn eine Veränderung in der Pflegeweise der Bahnstrecken und Bahnhöfe gegeben. Es wurden umweltschonendere Herbizide verwendet und Flächen, die nicht mehr benötigt wurden, auch nicht mehr gepflegt. Als Folge konnte sich in den breiteren Gleiszwischenbereichen Vegetation ansiedeln, z. T. auch einzelne Sträucher. Jetzt waren nicht nur die Ränder geeignete Lebensräume, sondern großflächig auch weite Bereiche von Güterbahnhöfen. Derzeit befinden sich die zehn größten Populationen in Deutschland, mit jeweils mehr als 1.000 Individuen, alle auf Bahngelände. Entlang von Bahnstrecken konnte sich die Mauereidechse auch wieder gut ausbreiten, und ihr Bestand erholte sich hierdurch etwas. Dieser positive Trend spiegelt sich nun in den Roten Listen wider: Die Art steht in den einzelnen Länderlisten nur noch in der Vorwarnliste – ebenso bundesweit – bzw. wurde ganz herausgenommen. Doch nicht nur die Mauereidechse hat die Bahnhöfe als Lebensraum entdeckt, mittlerweile auch der Mensch. Derzeit sind in vielen stillgelegten Bahnhöfen Gewerbegebiete oder Wohnbebauungen geplant oder schon gebaut, auch im Umfeld aller zehn Bahnhöfe mit den größten Vorkommen. Trotz höheren rechtlichen Schutzes der Mauereidechse durch die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) ist abzusehen, dass dadurch wieder Lebensräume zerstört werden, ohne den erforderlichen Ausgleich zu leisten. An einigen Beispielen kann heute schon festgestellt werden, dass die vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen) nicht die gesetzlich geforderte durchgängige ökologische Funktion erfüllen. Mit der Folge, dass die Mauereidechse wieder Lebensräume verliert – nur dass sie jetzt keine Möglichkeiten mehr hat, sich neue Lebensräume zu erschließen. Die Zukunftsaussichten sind also schlecht, und die Art wird in den nächsten Roten Listen der Länder sicher wieder auftauchen. Aktuell sind bei den anthropogenen Gefährdungsursachen in erster Linie die Beeinträchtigung und Zerstörung wichtiger Habitatstrukturen zu nennen. Am gravierendsten wirkt sich dabei die Intensivierung der Landwirtschaft aus.
Mehr Informationen über die „Rote Liste“ finden Sie unter: Artenschutz
Aufgrund des mittelfristigen Areal- und Bestandsrückgangs sowie der schlechten Zukunftsprognose wurde die Mauereidechse in der EU-weit gültigen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) in den Anhang IV aufgenommen. Die Länder sind daher verpflichtet, ein strenges Schutzsystem zu entwickeln. Deutschland hat daraufhin im § 44 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) erlassen, dass keine Individuen getötet werden dürfen, dass keine Fortpflanzungs- oder Ruhestätten (Winterquartier) von Individuen zerstört werden dürfen und dass keine erhebliche Störung der lokalen Population erfolgen darf. Eingriffe in die geschützten Lebensräume oder ein Töten von Tieren sind nur dann zulässig, wenn die ökologische Funktion im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt ist. Ein Abwägen des Eingriffs gegenüber Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen und eventuell Ersatzzahlungen wie früher ist damit nicht mehr zulässig.
Gefährdungsursachen
Die wichtigsten Gefährdungsursachen für die Mauereidechsenpopulationen lassen sich heute wie folgt zusammenfassen:
- Flurbereinigung in Weinbergen
- Anlage von Gewerbe und Wohngebieten auf stillgelegten Bahnhöfen
- Beeinträchtigung sonnenexponierter Freiflächen durch zunehmende Beschattung als Folge der Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen (Weinberglagen)
- Verschattung von Geröllhalden und Felsbereichen (Primärhabitate) durch Waldbäume
- Sukzession an sonnenexponierten Felsabschnitten entlang von Wegen und Bahnlinien (großes Problem in Habitaten des Schwarzwalds)
- Durchwachsen vormals lichter Niederwaldbereiche in südwestexponierten Hanglagen oder die Umwandlung in Fichtenforste
- Aufforstungsmaßnahmen im Bereich von Steinbrüchen, Abraumhalden und Steinschüttungen
- Verkehrswegebau und –ausbau
- Ersatz von Mauerwerk mit Bruchsteinstruktur durch fugenlose Mauern bzw. vollständiger Abriss von Trockenmauern, auch innerhalb von Ortschaften
- Sanierungs- und Restaurationsmaßnahmen an Ruinen und Burgen, in deren Rahmen Mauerspalten und Hohlräume mit Mörtel geschlossen werden
- Lebensraumentzug durch Stilllegung und anschließende Verbuschung von Bahnanlagen
- Umbau bestehender Bahnstrecken; durch den Einbau von Festbettgleisen und Lärmschutzwänden werden Habitate suboptimal, da Schotterflächen fehlen und die Beschattung zunimmt
- Umwandlung von Weinbergen in Wohngebiete
- Durch Klettersport und Tritt können geeignete Eiablageplätze an Felsfüßen zerstört werden. Auch werden Grusbänder mit Bergheidevegetation von Kletterern ausgeräumt, um Platz für einen sicheren Halt herzustellen und um Steinschlag zu verhindern. An solchen Plätzen gehen im Laufe der Zeit wichtige Habitatrequisiten verloren (so geschehen in den Buntsandsteinfelsen im Rurtal)
Schutzmaßnahmen
Um die Bestände der Mauereidechse dauerhaft zu sichern, werden heute folgende Schutzmaßnahmen für geeignet gehalten:
1. Erhaltung und langfristige Sicherung trockenwarmer Primärbiotope, wie z. B. lichte Laub- und Steppenheidewälder mit offenen Felsbildungen (z. B. Schwarzwald), aber auch natürlicher Block und Geröllhalden sowie gerölldurchsetzter Trockenrasen in den Mittelgebirgslagen.
2. Wiederzulassen der Morphodynamik (Abtrag und Auflandung von Sediment) an Fließgewässern, sodass wieder Abbruchkanten und Schotterbänke entstehen können.
3. Aufrechterhaltung der traditionellen Bewirtschaftung in den Weinberglagen als Verbreitungsschwerpunkt der Art. Sind Weinbauflurbereinigungen aus politisch-ökonomischen Gründen unumgänglich, sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
- Vor der Durchführung eines Flurbereinigungsverfahrens sind faunistische Untersuchungen durchzuführen, um die Bestandsgröße eventueller Mauereidechsenpopulationen und die entsprechenden Habitate (Sonnenplätze, Winterquartiere, Jagdhabitate und Eiablageplätze) zu erfassen. Wenn Mauereidechsen zu erwarten sind, ist eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP) zwingend erforderlich. Um mögliche Störungen auf die lokale Population zu ermitteln, muss selbige bekannt sein.
- Während der Durchführung von Flurbereinigungsmaßnahmen sind ausgewählte Bereiche der Lebensräume zu erhalten, um dort zumindest Teilen der ursprünglichen Population ein Überleben zu ermöglichen. So kann nach Beendigung des Verfahrens eine Neubesiedlung geeigneter Lebensräume erfolgen. Durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen) ist die ökologische Funktion zu gewährleisten (vgl. § 45 (5) BNatSchG).
- In räumlicher Nähe sind vor Beginn der Flurbereinigung geeignete Lebensräume zu gestalten, wie z. B. Trockenmauern oder Steinriegel. Gabione (Drahtgitterkörbe mit Steinfüllungen) erfüllen die ökologische Funktion nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht und sind daher als CEF-Maßnahmen nicht geeignet.
- Damit Tiere nicht getötet werden, sind sie zu „vergrämen“ – dies kann dadurch geschehen, dass ihre Lebensräume im Eingriffsbereich unattraktiv gemacht werden (z. B. durch Auslegen von Folien).
- Eingriffe dürfen nur in Zeiträumen mit den geringsten Auswirkungen stattfinden. Dies ist nach der Winterruhe und vor der Paarungszeit (je nach Witterung im März/April) und dann wieder nach der Paarungszeit bis zum Zeitpunkt vor der Winterruhe (je nach Witterung ab Mitte August bis Mitte Oktober) der Fall.
- Umsetzungsaktionen von Mauereidechsen dürfen keineswegs von vorneherein als Kompensationsmaßnahme vorgesehen werden, sondern sind nur in begründeten Ausnahmefällen unter vorheriger Prüfung aller anderen Möglichkeiten und nur unter strengen Auflagen durchzuführen. Umsiedlungen stellen eine erhebliche Störung dar – und nach derzeitigem Kenntnisstand verbleiben auf einer Aussetzungsfläche weniger als 50 %, manchmal nur 10 % der umgesiedelten Individuen.
- Nach Abschluss eines Flurbereinigungsverfahrens ist eine kontinuierliche Kontrolle und wissenschaftliche Überwachung der Bestandsentwicklung über mindestens fünf Jahre erforderlich, um negativen Entwicklungen frühzeitig begegnen zu können. Stellt sich durch das Monitoring heraus, dass der gewünschte Erfolg nicht eintritt, sind die Schutzmaßnahmen so lange zu verbessern, bis die ökologische Funktion wiederhergestellt ist.
4. Erhaltung und Pflege brachliegender Sekundärstandorte, z. B. in Steinbrüchen oder an Bahndämmen, Straßen- und Wegrändern. Hier ist darauf zu achten, dass Pflege- und Gestaltungsmaßnahmen den Habitatansprüchen der xerothermen Mauereidechse gerecht werden. Besonders die Beeinträchtigung wichtiger Biotopstrukturen durch die zunehmende Beschattung im Rahmen der natürlichen Sukzession ist zu verhindern. Auch bei Baumaßnahmen an Bahndämmen und Bahnhöfen ist verstärkt auf xerotherme Arten zu achten. Die Mauereidechse kann hier eine Leitartfunktion für weitere Tier- und Pflanzenarten übernehmen.
5. Erhaltung und Wiederherstellung wertvoller Habitatstrukturen wie Trockenmauern, Steinriegel und freie Felsabschnitte innerhalb der Ortschaften und Städte sowie im Bereich von Burgen und Ruinen. Bei Restaurierungsmaßnahmen müssen eventuelle Vorkommen der Mauereidechse berücksichtigt werden. Vor allem sollten unverfugte Mauerabschnitte mit hoher Mauereidechsendichte als Lebensräume und Überwinterungsquartiere, vegetationsarme Bereiche als potentielle Eiablageplätze sowie extensiv genutzte Grünstreifen als Nahrungshabitate erhalten bleiben. Die Denkmalspflegebehörden sind über diesen Sachstand zu informieren. Im Falle von Störungen, die durch Kletterer entstehen, sollten im Dialog mit den Klettervereinen verbindliche Absprachen erfolgen, auch mit Zugangsverboten bestimmter Felspartien, die für den Mauereidechsenschutz unerlässlich sind.
Textquelle: Aktionsbroschüre 2011: Die Mauereidechse (download)
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