Use it or lose it: Herpetologische Beifänge als wertvolle Datenquelle

Feb. 17, 2018 by     Posted under: Geförderte Projekte 2017

Originaltitel:

Use it or lose it: Herpetologische Beifänge als wertvolle Datenquelle für ökologisch-naturschutzfachliche Fragestellungen im Amphibienschutz?

Langzeitfeldstudien an Wirbellosen unter Einsatz standardisierter Fallentypen haben eine lange Tradition, sowohl in der ökologischen Forschung als auch im angewandten Naturschutz. Das Aufsammeln erfolgt dabei in der Regel, um den ökologischen Zustand von ausgewählten Habitaten zu ermitteln, etwa im Rahmen der Planung und Umsetzung von Baumaßnahmen und Eingriffen in natürliche Lebensräume (z. B. Kremen et al. 1993), im Kontext von Biodiversitätserfassungen zur Beantwortung von angewandten und Grundlagenfragen in der Ökologie (z. B. Birkhofer et al. 2017), oder um den Status von Populationen ausgewählter Zieltaxa von wissenschaftlicher, wirtschaftlicher oder naturschutzfachlicher Relevanz zu erfassen (z. B. Geris ch et al. 2006; Wheelock et al. 2016). Dass neben den im Fokus der jeweiligen Untersuchung stehenden Organismengruppen auch immer wieder sogenannte Beifänge auftreten, ist ein seit Langem kontrovers diskutiertes Thema sowohl unter Feldökologen als auch unter Natur- und Umweltschützern.
Während diese Diskussion in der Vergangenheit verschiedentlich innerhalb der an Evertebraten arbeitenden Wissenschaftlergemeinschaft aufgegriffen wurde und Vorschläge zum Umgang mit Beifängen publiziert wurden (z. B. Buchholz et al. 2011), fanden die bei derartigen Untersuchungen ebenfalls in nicht unerheblichen Maße anfallenden Wirbeltierbeifänge bisher wenig Beachtung. Speziell beim Einsatz von Bodenfallen sind hier neben Kleinsäugern wie Spitzmäusen besonders Reptilien und Amphibien betroffen. Letztere machen hierbei wahrscheinlich den mengenmäßig größten Anteil aus. Eine konstruktive Diskussion sowie die Etablierung von Handlungsempfehlungen zum Umgang mit herpetologischen Beifängen, deren Archivierung und zur Frage des potenziellen Nutzens für wissenschaftliche und naturschutzfachliche Fragestellungen stehen daher noch immer aus. Das vom Hans-Schiemenz-Fonds der DGHT geförderte Projekt setzt genau an dieser Stelle an.
Anhand eines einzigartigen Langzeitbeifangdatensatzes soll modellhaft das Potenzial derartiger

Als unbeabsichtigte Nebenfänge bei früheren Untersuchungen am Alacher See angefallenes Material des Grasfrosches (Rana temporaria)
Foto: K. Kürbis

Beifangaufsammlungen für die Beantwortung ökologischer Fragestellungen untersucht werden. Das Material wurde im Verlaufe entomologischer Langzeitstudien im Naturschutzgebiet Alacher See bei Erfurt (Thüringen) zusammengetragen und besteht primär aus juvenilen Amphibien. Über einen Zeitraum von 1997–2008 wurden so unbeabsichtigt insgesamt mehr als 10.000 Individuen von insgesamt sechs einheimischen Amphibienarten (Kammmolch – Triturus cristatus, Teichmolch – Lissotriton vulgaris, Grasfrosch – Rana temporaria, Knoblauchkröte – Pelobates fuscus und Moorfrosch – Rana arvalis) gesammelt. Das Material wurde in dem Fall nicht wie oft üblich verworfen, sondern in der Sammlung des lokalen Naturkundemuseums aufbewahrt. Eine systematische Aufarbeitung erfolgte jedoch nicht. Da über die Ökologie juveniler Amphibien mit dem Eintritt in die terrestrische Lebensphase nur wenig bekannt ist (z. B. Popescu & Hunter 2011; Jarvis 2016), bietet diese unbeabsichtigte Sammlung die Möglichkeit, Daten über die Phänologie, den Zeitpunkt der Metamorphose und die darauf einsetzende Abwanderung der Jungtiere sowie die im Landlebensraum besetzte Nische zu erfassen.
Diese Faktoren besitzen hohe Relevanz für einen effektiven Artenschutz, da insbesondere den juvenilen Tieren eine hohe Bedeutung für die Populationsentwicklung und potenzielle Ausbreitung einzelner Arten zukommt. Anhand des vorliegenden Modelldatensatzes soll somit geklärt werden, ob sich aus derartigen Beifängen phänologische Trends ableiten lassen, und ob diese intra- und interannuellen Schwankungen unterliegen, die so rekonstruiert werden können. Über Mageninhaltsbzw. Nahrungsanalysen sollen mögliche interspezifische Unterschiede im Beutewahlverhalten juveniler Amphibien exemplarisch betrachtet werden, um basierend auf diesen Daten potenzielle trophische Nischen definieren zu können. Zudem werden auftretende Ekto- und Endoparasiten erfasst, die Aufschluss über mögliche Veränderungen des Gesundheitszustandes innerhalb von Populationen konspezifischer Taxa oder zwischen Populationen distinkter Taxa geben können. In einem zweiten Schritt erfolgt dann eine Erhebung der Verfügbarkeit ähnlicher, bislang nicht aufgearbeiteter Materialaufsammlungen zunächst in Thüringen, perspektivisch aber auch im gesamten Bundesgebiet, um eine quantitative Abschätzung des vorhandenen Datenpotenzials zu ermöglichen.

Auch Knoblauchkröten fallen als Beifang an. Foto: K. Kürbis

Das abschließende Ziel der Studie ist aber letztlich die Etablierung standardisierter Protokolle für die Nutzung von (Amphibien-) Beifangdaten und die Erarbeitung eines Leitfadens für die optimierte Konzeption von Evertebratenaufsammlungen hinsichtlich der Verwertbarkeit von Amphibienbeifängen. Dies umfasst neben der Feldmethodik sowohl die Frage der Verfügbarmachung bereits existierenden Materials, z. B. in Form einer Informationsdatenbank nach Vorbild existierender internationaler Datenbanken (z. B. The Australian National Insect Collection, ANIC, https://www.csiro.au/en/Research/Collections/ANIC), als auch die Frage der sinnvollsten Form der langfristigen Aufbewahrung an dafür prädestinierten Institutionen wie z. B. naturkundlichen Sammlungen oder Natur- und Umweltschutzverbänden, die eine entsprechende Sammlungsinfrastruktur vorhalten.
Wir hoffen so, engagierten Feldentomologen und -herpetologen einen Leitfaden für die Bearbeitung von und den Umgang mit entomologischen Beifängen an die Hand geben zu können, der den Daten- und Wissensgewinn zukünftiger Erfassungen optimiert. Potenziale und Grenzen von unterschiedlich gut dokumentierten und verarbeiteten Datensätzen sollen aufgezeigt werden, und der potenziell hohe Wert von Beifängen für multiple wissenschaftliche und speziell naturschutzfachliche Fragestellungen soll anhand der verfügbaren Informationen verdeutlicht werden.

Konrad Kürbis 1,2,3 & Raffael Ernst 2

1 Hüttenstr. 8, 06343 Mansfeld / OT Großörner, konrad.kuerbis@yahoo.de
2 Senckenberg Naturhistorische Sammlung Dresden (SNSD), Königsbrücker Landstr. 159, 01109 Dresden
3 Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz (SMNG), Am Museum 1, 02827 Görlitz

Literatur:

  • Birkhofer, K., M.M. Gossner, T. Diekött er, C. Drees, O. Ferli an, M. Maraun, S. Scheu, W.W. Weisser, V. Wolt ers, S. Wurst, A.S. Zait sev & H.G. Smit h (2017): Land-use type and intensity differentially filter traits in above- and below-ground arthropod communities. – Journal of Animal Ecology 87(3): 511–520.
  • Buchholz, S., M. Kreuels, A. Kronshage, H. Terlutter & O.-D. Finch (2011): Bycatches of ecological field studies: bothersome or valuable? – Methods in Ecology and Evolution 2: 99–102.
  • Gerisch, M., A. Schanowski , W. Figura, B. Gerken, F. Dziock & K. Henle (2006): Carabid Beetles (Coleoptera, Carabidae) as Indicatorsof Hydrological Site Conditions in Floodplain Grasslands. – International Review of Hydrobiology 91(4): 326–340.
  • Jarvis, L.E. (2016): Terrestrial ecology of juvenile great crested newts (Triturus cristatus) in a woodland area. – Herpetological Journal 26: 287–296.
  • Kremen, C., R.K. Colw ell , T.L. Erwi n, D.D. Murphy, R.F. Noss & M.A. Sanjayan (1993): Terrestrial arthropod assemblages: their use in conservation planning. – Conservation Biology 7: 796–808.
  • Popescu, V. & M.L. Hunter (2011): Clearcutting has a long-lasting effect on habitat connectivity for a forest amphibian by decreasing permeability to juvenile movements. – Ecological Applications 21(4): 1283–1295.
  • Wheelock , M.J. & M.E. O’Neal (2016). Insect pollinators in Iowa cornfields: community identification and trapping method analysis. – PloS one 11(7): e0143479.
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