Farb-Polymorphismus bei alpinen Aspisvipern
Projektdurchführung: Konrad Mebert, Sylvain Ursenbacher & Philippe Golay
Fördersumme: 2.960 Euro
Originaltitel:
Ungewöhnlich hoher Farb-Polymorphismus bei alpinen Aspisvipern in Frankreich Zufall oder natürliche Selektion? Von Konrad Mebert, Valerie Zwahlen, Philippe
/High frequency of unusual color polymorphism in alpine Asp vipers in France, an exemplary case to study selective forces, migration and its geographic variation in its natural environment
Einführung
Morphologische Anpassung an ein lokales Umfeld ist von entscheidender Bedeutung für das Überleben und den Fortpflanzungserfolg einer Tierart, da sie die relevante Nahrungssuche und Energieaufnahme für die Reproduktion sowie das Risiko der Prädation affektiert. Dieses Phänomen führte zur Entwicklung von spezifischen Eigenschaften wie aposematischer (Warn-) und kryptischer (Tarn-) Färbung und Verhaltensmustern.
Unter Reptilien haben sich Dorsalzeichnungen (Rückenmuster) von Schlangen in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt, wobei einige Muster kryptische Funktion übernehmen und andere mit knalligen Farben oder starken Kontrasten zur Abschreckung dienen und damit eine mögliche Ungenießbarkeit oder das Risiko einer Vergiftung anzeigen. Zum Beispiel wird das dorsale Zickzack-Muster bei den europäischen Vipern als aposematisches Signal für Vögel betrachtet (Niskanen & Mappes 2005, Wüster et al. 2003). Tatsächlich wurden die Plastilin-Schlangen, aus einer Modelliermasse gebastelte Schlangenimitate, mit einem Zickzack-Muster in beiden beiden erwähnten Studien seltener von Vögeln attackiert als ihre einfarbigen („Concolor“ genannt) Imitate. Bisherige Studien über den Vorteil des Melanismus (Schwarzfärbung) bei Kreuzottern, Vipera berus, kamen zu ähnlichen Schlussfolgerungen (Andren & Nilson 1981). Ebenso wird die Variabilität der Dorsalzeichnungen bei mehreren amerikanischen Nattern allgemein als Resultat eines Gleichgewichts zwischen natürlicher Selektion und Migration (Wanderung zwischen Populationen) der Tiere betrachtet. Zum Beispiel wurde der extreme Farbmuster-Polymorphismus (einschließlich der „Concolor“-Morphen) bei der Nördlichen Schwimmnatter, Nerodia sipedon insularum, seit den 1950-er Jahren untersucht (Camin et al. 1954, Camin & Ehrlich 1958, Ehrlich & Camin 1960, King 1987, 1992, 1993a, 1993b). Diese Studien enthüllten diverse lokale und sogar zeitliche Variationen des Polymorphismus. Camin & Ehrlich (1958) vermuten natürliche Selektion und Migration als kausale Faktoren des beobachteten Polymorphismus, während King (1987) außerdem den Einfluss einer historischen Verbreitung als wichtigen Faktor mit einbezieht. King schlägt auch weitere alternative Hypothesen vor, wie genetische Drift (z. B. das plötzlichen Aussterben einer Morphe in einer Population aufgrund ihrer Seltenheit), Gründereffekte und sexuelle Selektion.
Bei einer anderen Schlangenart, der Strumpfbandnatter Thamnophis elegans, beobachten Manier & Arnold (2005) ökotypische Variation zwischen den Populationen über nur ein paar wenige Kilometer, trotz der Existenz eines, wenn auch geringen, Genflusses (Individuenaustausch) zwischen ihnen. Die Kombination morphologischer und genetischer Studien durch Manier et al. (2007) zeigt, dass natürliche Selektion zur Differenzierung von Eigenschaften sowohl zwischen als auch innerhalb der verschiedenen Ökotypen geführt hatte. Somit ist die Untersuchung der morphologischen Variation und der daraus resultierenden Selektion besonders interessant, um die Mechanismen bei der Selektion der Dorsalzeichnung bei Reptilien, und vor allem bei Schlangen, zu verstehen. Der hohe Grad des Farbmuster-Polymorphismus‘ bei der Aspisviper, Vipera aspis, (Brodmann 1987, Saint Girons 1978) macht diese Art zu einem besonders guten Modell, um solche Fragen der Evolutionsbiologie zu studieren. Neben einer melanistischen Form können zahlreiche Typen anhand ihrer dorsalen Muster unterschieden werden (Bruno 1985). Auch wenn einige Farbmustermorphen gewissen Unterarten zugeordnet werden können (z. B. das Rautenmuster bei V. a. hugyi), treten die meisten von ihnen in ähnlichen Regionen auf.
Tatsächlich kann man ein „normales“ dorsales Muster mit zahlreichen kleineren, dunklen Flecken bei V. a. aspisaus Frankreich, der Schweiz und Deutschland finden, aber auch in spanischen Populationen von V. a. zinnikeri und von V. a. francisciredi aus Italien. Andere Farbmustermorphen zeigen eine eher regionale Verteilung wie zum Beispiel das vorwiegend starke und breite Zickzack-Muster der „alpinen“ Aspisviper, V. a. „atra“, (Meyer et al. 2009), welches sich von jenem seiner Artgenossen im Tiefland deutlich unterscheidet. Es wurde jedoch kürzlich gezeigt, dass dieser alpine Ökotyp nur mit den Umweltfaktoren Temperatur und Luftfeuchtigkeit (Golay 2005) korreliert und nicht aus einer historischen Trennung von Vipern im Alpenraum resultierte (Golay et al. 2008). Genetisch sind Aspisvipern aus den Alpen und dem Tiefland nicht zu unterscheiden (Ursenbacher et al. 2006). Eine „Concolor“-Population Populationen mit einem sehr hohen Anteil an ungewöhnlich gezeichneten Individuen, hier pauschal „Concolor“ genannt, wurden vor ein paar Jahren in Frankreich entdeckt. Diese Tiere besitzen oft einen einfarbigen Rücken, manchmal aber auch einen dorsalen Vertebral-Streifen in verschiedener Ausprägung und Breite sowie rudimentäre Zeichnungselemente, bestehend aus einzelnen, unregelmäßig verteilten Flecken. Normal gefärbte Vipern kommen syntopisch mit „Concolor“ Morphen an der gleichen Stelle vor. Einige Tiere zeigen Zeichnungsmuster von zwei Morphen, wie z. B. einen dorsalen Streifen mit Zacken, Zeichnungselemente nur auf dem Vorderkörper oder einen Melanismus, der nur auf der Hälfte des Körpers ausgebildet ist. Diese Population bietet eine attraktive Ausgangslage, um die Beziehung zwischen Farbmuster Polymorphismus und selektiven Faktoren unter Einbeziehung der geografischen Variation zu untersuchen. Solche „Concolor“-Morphen von Aspisvipern kennt man in geringer Frequenz aus einem Gebiet über eine Strecke von ca. 200 Kilometern in den italienischen, französischen und Schweizer Alpen und als extrem seltene Anomalie auch aus anderen Regionen von Nordfrankreich bis zu den Pyrenäen. Eine vorläufige Untersuchung im Gebiet der neu entdeckten „Concolor“-Population in den französischen Alpen zeigt aber, dass lokal ein viel höherer Anteil solcher Tiere möglich ist.
In einem kleinen vipernreichen Tal fanden wir den Kern des „Concolor“-Verbreitungsgebietes, wo der Anteil an „abnormen“ Vipern über 50 % beträgt. Interessanterweise sinkt die Häufigkeit der „Concolor“-Vipern von diesem Zentrum aus in alle Richtungen innerhalb von etwa 20 km drastisch auf 10 %, was möglicherweise auf einen starken Selektionsdruck mit einem lokalen Vorteil für die „Concolor“-Vipern deuten könnte. In der Tat, wenn ein bestimmtes Rückenmuster lokal mit einer hohen Dichte auftritt, werden meist Mechanismen der natürlichen Selektion und/oder der genetischen Isolation vermutet. Das Spannungsfeld zwischen diesen Faktoren und die Schwächung von lokal adaptierten Tieren (den „Concolor“-Vipern) sind besonders markant zwischen Populationen, die in unmittelbarer Nähe zueinander liegen, und zwischen denen ein regelmäßiger Austausch von Individuen stattfindet. Das heißt, die außergewöhnliche Dorsalfärbung der lokal konzentrierten „Concolor“-Vipern könnte durch die stetige Einwanderung von normal gefärbten Vipern aus der Nachbarschaft sozusagen verdünnt werden. Diese Einwanderung von normalen Vipern könnte, falls die „Concolor“- Vipern lokal nicht überlegen sind, das Verschwinden dieser besonderen Tiere zur Folge haben. Der statistische Vergleich genetischer und morphologischer Variation hilft dabei, die lokal unterschiedliche Ausprägung der dorsalen Muster zu verstehen. Der Vergleich des Grades der Diversifizierung quantitativer Merkmale und neutraler genetischer Marker ermöglicht uns, die Rolle der Selektion für die verschiedenen Zeichnungstypen zu untersuchen (Lande 1992, Merila & Crnokrak 2001). Man kann zwischen hoher Diversifizierung, d. h. es gibt wenig Austausch von Vipern zwischen den Populationen, und stabilisierender Selektion, d. h. es gibt viel Austausch zwischen den Populationen.
Projektumsetzung
Das übergeordnete Ziel dieses mehrschichtigen Projektes ist es, die wichtigsten Faktoren für die beobachtete Verteilung dieses Farbmuster-Polymorphismus zu erforschen und somit ein besseres Verständnis deren evolutionären Mechanismen zu erlangen. In der ersten Phase dieses Projektes möchten wir die genaue geografische Verbreitung und Häufigkeit der ungewöhnlichen Morphotypen bestimmen und den Selektionsdruck auf die damit verbundenen Farbmuster durch genetische Methoden ermitteln. Vergleicht man die genetischen und morphologischen Differenzierungen zwischen den verschiedenen lokalen Populationen, kann man feststellen, ob eine Selektion für das ungewöhnliche „Concolor“-Farbmuster auftritt, oder ob der Genfluss (Migration zwischen den Populationen) begrenzt ist, d. h. die „Concolor“-Vipern können momentan existieren, weil zu wenig „normale“ Vipern einwandern , siehe Manier et al. 2007).
Wir testen, ob eine hohe lokale Selektion für „Concolor“-Vipern vorliegt, oder ob die beobachtete Verbreitung dieser Morphotypen auf eine begrenzte Wanderung zwischen den Populationen und genetischem Drift (auf Grund zunehmender Seltenheit an Paarungserfolgen mit normal-gezeichneten Vipern) zurückgeht. In der ersten Phase versuchen wir, die lokalen Verhältnisse dieser „Concolor“-Vipern in einem Bereich von ca. 20-30 km um die Kernpopulation zu ermitteln. Dafür ist eine umfangreiche Feldarbeit erforderlich, indem wir ungefähr 200-300 Vipern (etwa 20 Tiere pro 2-4 km) aus allen regionalen Populationen rund um die Kernpopulation sammeln. Die Datenerfassung umfasst Gewebeproben für die genetische Analyse (Mundhöhlenabstriche und Schuppengewebe), Gewicht, Längenangaben und die Aufzeichnung der Farbmuster. Die genetischen Analysen werden im Labor des Instituts für Natur-, Landschafts- und Umweltschutz (Universität Basel, Schweiz) durchgeführt. Spezifische Mikrosatellitenmarker werden derzeit im Labor entwickelt, und genetische und morphologische Differenzierung werden mit Hilfe verschiedener statistischer Ansätze analysiert werden. Nachfolgende Phasen des Projektes beziehen sich unter anderem auf korrelierende Umweltfaktoren. Vor allem der Zusammenhang des auffällig niedrigen Waldbestandes im Gebiet der „Concolor“-Aspisvipern mit umliegenden Regionen soll mittels GIS Daten ermittelt werden. Weitere Phasen beziehen sich auf experimentelle Untersuchungen von Lebensstrategien, wie Fekundität und Wachstum, unterschiedlicher Vorteile der Thermoregulation, sowie auf Vergleiche mit anderen regionalen Populationen mit potenziellen „Concolor“-Anteilen. Dieses Projekt wird unser Verständnis über die Lebensweise von alpinen Vipern (Migration), deren natürlicher Selektion, und wertvolles Wissen zum Schutz einmaliger Populationen bedeutend vergrößern.
Autoren: Golay, Thierry Durand, Sylvain Ursenbacher
Dieser Artikel wurde veröffentlicht in der DGHT-Mitgliederzeitschrift: elaphe 1-2011
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