Gefährdung und Schutz

Nov 22, 2016 by     Posted under: Reptil des Jahres 2017: Die Blindschleiche

Die Blindschleiche gehört zu den Reptilienarten, für die Deutschland mit Blick auf die Gesamtverbreitung in hohem Maße verantwortlich ist, denn mehr als 10 % des Gesamtareals liegen in Deutschland. Zudem liegt Deutschland im Arealzentrum der Art. Weiterhin zählt die Blindschleiche nach dem Bundesnaturschutzgesetz zu den „besonders geschützten Arten“ (BNatSchG § 44). In der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) wird sie hingegen nicht geführt. In ihrem gesamten europäischen Verbreitungsgebiet gilt die Blindschleiche als nicht gefährdet. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wird sie in der aktuellen Roten Liste als ungefährdet eingestuft, ebenso in vielen Bundesländern. Allerdings steht sie in vier Bundesländern bereits auf der Vorwarnliste. In zwei Bundesländern (Berlin, Mecklenburg-Vorpommern) wird sie als „gefährdet“ und in Schleswig-Holstein sogar als „stark gefährdet“ gelistet. Dies belegt, dass eine grundsätzliche Gefährdung der Blindschleiche durchaus besteht, zumal wenn man berücksichtigt, dass die Roten Listen einzelner Bundesländer bereits über 15 Jahre alt sind und einer dringenden Aktualisierung bedürfen.

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Rote-Liste-Status der Blindschleiche in Deutschland (D) und den einzelnen Bundesländern (BB = Brandenburg; BE = Berlin; BW = Baden-Württemberg; BY = Bayern; HE = Hessen; HH = Hamburg; NI Niedersachsen / Bremen; NW = Nordrhein-Westfalen; MV = Mecklenburg-Vorpommern; RP = Rheinland-Pfalz; SH = Schleswig-Holstein; SL = Saarland; SN = Sachsen; ST = Sachsen-Anhalt; TH = Thüringen) * = ungefährdet; ** = mit Sicherheit ungefährdet; 2 = stark gefährdet; 3 = gefährdet; V = auf der Vorwarnliste; D = Daten defizitär

Betrachtet man den langfristigen Bestandstrend der Blindschleiche über die letzten gut hundert Jahre, so ist von einem mäßigen Rückgang der Art auszugehen. Auch wenn keine klaren Bestandszahlen beziehungsweise Bestandsentwicklungen über diesen langen Zeitraum vorliegen, so sind doch deutliche Veränderungen in der Landschaft wie weiträumiger Torfabbau in trockengelegten Mooren, massive Veränderungen in der Waldwirtschaft, Flurbereinigung oder vor allem auch die fortschreitende Bebauung mit Wohn- und Industriegebieten sowie eine damit verbundene massive Zunahme des Straßen- und Wegenetzes entscheidende Faktoren, die den Lebensraum der Blindschleiche merklich schwinden ließen und eine Abnahme der Gesamtpopulation erwarten lassen.

Auch am Boden liegende Bretter suchen Blindschleichen gerne als Versteck auf. Dieses Verhalten macht man sich bei der Kartierung zu Nutze, Foto: B. Trapp

Auch am Boden liegende Bretter suchen Blindschleichen gerne als Versteck auf. Dieses Verhalten macht
man sich bei der Kartierung zu Nutze, Foto: B. Trapp

Gefährdungsursachen

Die Blindschleiche ist in erster Linie durch die Zerstörung beziehungsweise negative Veränderungen ihrer Lebensräume gefährdet, zum Beispiel Eutrophierung durch Düngereintrag, Verschattung halboffener Habitate durch natürliche Sukzessionsprozesse, Siedlungs- oder Straßenbau. Zahlreiche Ursachen führen aber auch direkt oder indirekt zum Tod von Individuen. Im Folgenden sind die wesentlichen
Gefährdungsursachen, die direkt oder indirekt auf den Rückgang der Blindschleiche einwirken, aufgelistet:

  • Umwandlung lichter Laub- und Mischwälder in dunkle Nadelwaldforste (Fichte, Kiefer, Tanne, Douglasie),
  • Aufforstung von Waldlichtungen sowie von Windbruch- beziehungsweise Windwurfflächen, unter Umständen nach vorheriger Bearbeitung und Einebnung der Flächen mit schwerem Gerät,
  • Beendigung der Kahlschlagwirtschaft in Wäldern,
  • Verlust stufiger, breiter Waldränder durch Aufforstung sowie auch ackerbauliche, intensive Bewirtschaftung bis direkt an den hohen Waldrand oder an die Waldkante (Verlust des Waldmantelsaumes und darin gelegener Kleinstrukturen),
  • Aufforstung oder Umwandlung von Moorrandbereichen, Heiden, Magerrasen oder Ruderalflächen zu Grün- oder Ackerland (unter anderem durch vermehrten Maisanbau),
  • Intensivierung der Landwirtschaft und damit verbundene Flurbereinigung, die zum Verlust kleinräumiger Felder mit einer Vielzahl von Strukturelementen wie Hecken, Feldgehölzen, Lesesteinhaufen und -riegeln sowie Ackerrainen führt,
  • Rekultivierung von Flächen, zunehmende Eutrophierung durch Düngereintrag,
  • das großflächige Abtorfen von Mooren durch die industrielle Torfgewinnung (maschinelles Beseitigen von Büschen und Bäumen während der Wintermonate, Abfräsen der obersten Vegetationsschicht, tiefe Schlitzgräben als Fallen),
  • Abbrennen von Wiesen, Magerrasen, Heiden, Moorflächen oder Böschungen,
  • aus Artenschutzgesichtspunkten unsachgemäß durchgeführte Renaturierungsmaßnahmen in degenerierten Hochmooren (Wiedervernässung, Abtragen von Torfdämmen und -kanten aus gewachsenem Moorboden während der Wintermonate)
  • aus Artenschutzgesichtspunkten unsachgemäß durchgeführte Pflege von Heiden, Mooren und Magerrasen (Zeitpunkt und Flächengröße bei Mahd, Plaggen, Brennen, intensive Beweidung),
  • Rekultivierung der verschiedensten Abgrabungsstätten (Steinbrüche, Kies- und Sandabgrabungen, Lehm- und Tongruben) durch Verfüllung und damit verbundene anschließende Aufforstung oder Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung,
  • Aufgabe von Abgrabungsstätten und einhergehende Verbuschung und Zuwachsen, sodass diese geeigneten Sekundärhabitate verloren gehen,
  • Instandhaltung und Betrieb von Verkehrstrassen, unter anderem Gleisbauarbeiten (Schotterbett),
  • Beseitigung von „Wildwuchs“ an Weg- und Straßenrainen im Siedlungsbereich,
  • Beseitigung von Kleinstrukturen wie Stein- und Gehölzhaufen insbesondere im Siedlungsbereich,
  • Aufgabe von Bahnstrecken, was die dauerhafte Verbuschung des Lebensraumes zur Folge haben kann,
  • Umwandlung von ehemaligen Bahnstrecken in asphaltierte Radwege,
  • Fallenwirkung durch hohe, unüberwindbaren Bordsteinkanten (> 15 cm), was zur Folge hat, dass die Tiere auf der Straße verbleiben und überfahren werden oder entlang der Randsteine in weitere Todesfallen, zum Beispiel Gullys, geleitet werden,
  • Fallenwirkung von öffentlichen Stromkästen in Bodennähe, insbesondere an Waldrändern, in die Blindschleichen und andere Reptilien über schlitzförmige Öffnungen am Boden hineinkriechen beziehungsweise -fallen,
  • häufiges, intensives Mähen des „englischen Rasens“ in Hausgärten im Siedlungsrandbereich,
  • Bei der Mahd getötete Blindschleichen und Kreuzottern, Foto: R. Podloucky

    Bei der Mahd getötete Blindschleichen und Kreuzottern, Foto: R. Podloucky

    Mahd von Wiesen, Randstreifen und Grabenböschungen entlang von Straßen, Bahnstrecken, Feld-, Forst- sowie Rad- und Wanderwegen dicht über der Grassode unter Verwendung von Saug- und Kreiselmähern,

  • Mulchen von Flächen mit Schlegelmulchgeräten,
  • Grabenräumungsarbeiten an leicht feuchten beziehungsweise wechselfeuchten Gräben während der Aktivitätsphase,
  • Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Tiergiften (vor allem Insektizide, Schneckenkorn und andere Molluskizide) insbesondere in Privatgärten,
  • Überfahren und Töten von querenden oder sich sonnenden Tieren auf Straßen und vor allem Waldwegen durch den allgemeinen Straßenverkehr und auch Fahrradfahrer,
  • direkte Verfolgung und Totschlag (Verwechslung mit Schlangen, Schlangenhysterie),
  • Prädation durch Haustiere, insbesondere Hauskatzen,
  • zunehmender Schwarzwildbestand.
Infotafel zur Aufklärung von Radfahrern und Spaziergängern, Foto: R. Podloucky

Infotafel zur Aufklärung von Radfahrern und Spaziergängern, Foto: R. Podloucky

Verbrannte Blindschleiche, Foto: R. Podloucky

Verbrannte Blindschleiche, Foto: R. Podloucky

 

 

 

 

Opfer von Straßenverkehr, Foto: R. Podloucky

Opfer von Straßenverkehr, Foto: R. Podloucky

 

Lebensraumzerstörung durch Abtorfen von Mooren, Foto: R. Podloucky

Lebensraumzerstörung durch Abtorfen von Mooren, Foto: R. Podloucky

 

 

Schutzmaßnahmen

Im Gegensatz zu anderen Reptilienarten wie beispielsweise der Kreuzotter gibt es für die Blindschleiche keine gezielten Artenschutzprogramme. Vielmehr profitiert die Blindschleiche als euryöke (anpassungsfähige) Art von den verschiedensten Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen, die für andere heimische Reptilienarten durchgeführt werden. Wesentlich für den Schutz von Blindschleichen sind zum einen die Erhaltung strukturreicher Lebensräume sowie die Reduzierung des Flächenverbrauches und der Lebensraumzerschneidung. Zum anderen ist Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit (Stichwort „Sensibilisierung“) wichtig, um das Nachstellen und Töten dieser völlig harmlosen Echse zu verhindern.

Ersatzhabitat für Gleisbaumaßnahmen, Foto: R. Podloucky

Ersatzhabitat für Gleisbaumaßnahmen, Foto: R. Podloucky

Im Folgenden sind wichtige Schutzmaßnahmen aufgeführt, von denen die Blindschleiche auf jeden Fall profitiert:

  • Die Blindschleiche ist häufig in Moorund Heidelandschaften zuhause, Foto: R. Podloucky

    Die Blindschleiche ist häufig in Moor- und Heidelandschaften zuhause, Foto: R. Podloucky

    Erhaltung und Förderung strukturreicher lichter Wälder,

  • keine Aufforstung von Reptilienhabitaten in Wäldern sowie Zulassen und Offenhalten von Freiflächen wie Lichtungen im Wald,
  • Schaffung, Erhaltung und Pflege vielseitig strukturierter, ausreichend breiter und stufiger innerer und äußerer, sonniger Waldränder,
  • Vernetzung geeigneter Lebensräume im Offenland oder zwischen Wald und Offenland durch geeignete, meist lineare Landschaftsstrukturen wie Hecken oder Wegraine sowie Ausweitung derartiger Saumstrukturen,
  • Förderung extensiver Grünlandbewirtschaftung,
  • Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung halboffener, brachliegender Sekundärlebensräume wie Steinbrüche oder Kies- und Sandgruben,
  • zeitliche (im Winter) und flächenmäßige Berücksichtigung der Lebensraumansprüche bei der Durchführung von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in Heiden, Hochmooren und auf Magerrasen, insbesondere bei Wiedervernässungsmaßnahmen,
    Plaggen, Mulchen, Mähen, Brennen und Beweidung,
  • Mähen von Straßenbegleitgrün sowie Magerrasen und Ruderalflächen außerhalb der Tagesaktivität der Blindschleiche (vor 7 Uhr, bei unter 10 °C Lufttemperatur),
  • bei Wiesenmahd Restflächen mit höherer Vegetation stehen lassen (partielles Mähen),
  • Einstellen der Mahdhöhe an Mähgeräten mit ausreichendem Abstand zum Boden (mindestens 7 cm, besser 10 cm; wenn möglich Mähbalken, keine Kreiselmäher einsetzen),
  • bei Freihandgeräten (zum Beispiel motorbetriebene Freischneider) keine bodennahe Führung des Geräts, insbesondere in der Nähe von Sträuchern, Gebüschen oder liegendem Totholz,
  • intensive Schwarzwildbejagung; Futterplätze (Kirrungen) nur außerhalb der Lebensräume,
  • Liegenlassen oder Neuanlage von Strukturen wie Gehölz- und Steinlegehaufen, Wurzelstubben, Heu- oder Komposthaufen; die Anlage derartiger Versteck- und Überwinterungsplätze ist auch in ortsrandnahen Gärten mit Übergängen zu Wald und Wiese sinnvoll. Zusätzliches Auslegen von liegendem Totholz wie schräg angeschnittenes, stärkeres Astholz oder kurze Baumstammabschnitte (Schrägschnitte beidseitig verhindern die schnelle Wegnahme und einfache Nutzung als Kaminholz),
  • natürliche Entwicklungen („unaufgeräumte, verwilderte Ecken“) im Garten zulassen,
  • Verzicht von Tier- und Pflanzengiften (Insektizide, Schneckenkorn, Molluskizide) auch im heimischen Garten,
  • Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zum Schutz unserer heimischen Reptilien (siehe diese Broschüre) und zum Zwecke der Sensibilisierung für Natur- und Artenschutzthemen, speziell zur Erhaltung unserer Blindschleiche.
Reptilienfreundliche Mauer mit Versteckmöglichkeiten, Foto: W. Selbertinger

Reptilienfreundliche Mauer mit Versteckmöglichkeiten, Foto: W. Selbertinger

Aufklärungsarbeit zum Schutz der heimischen Reptilien, Foto: E. Lindner

Aufklärungsarbeit zum Schutz der heimischen Reptilien, Foto: E. Lindner

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