Lebensräume & Verbreitung

Lebensräume

Lebensraum der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz im Schutzgebiet Moulin-de-Vert (Genf); Foto: S.Ursenbacher

Lebensraum der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz im Schutzgebiet Moulin-de-Vert (Genf); Foto: S.Ursenbacher

Lebensraum der Europäischen Sumpfschildkröte in Brandenburg; Foto: N. Schneeweiß

Lebensraum der Europäischen Sumpfschildkröte in Brandenburg; Foto: N. Schneeweiß

Wie es bei einer Art mit einem so riesigen Verbreitungsgebiet nicht anders zu erwarten ist, gibt es bei den Lebensräumen und der Raumnutzung große Unterschiede. Man sollte sich vor Augen führen, dass nirgendwo der Lebensraum einer Europäischen Sumpfschildkröte „nur“ aus dem Wohngewässer besteht – er ist vielfach strukturiert und komplex und umfasst letztlich neben dem Wohngewässer auf jeden Fall auch die nähere oder weitere Umgebung mit Eiablagestellen und eventuell Jungtierlebensräumen oder Überwinterungsquartieren (in nördlicheren Gebieten sind dies oft die vor Frost etwas geschützten Gewässer oder Gewässerabschnitte). Im Norden des Verbreitungsgebiets sind die Wohngewässer meist flach und stehend, sodass sie leicht von der Sonne aufgewärmt werden können. Häufig sind diese Gewässer durch einen reichen Pflanzenbewuchs im Wasser und Uferbereich ausgezeichnet. Im Süden kommen die Schildkröten dagegen nicht selten sogar in fließenden, steinigen und relativ kühlen Bächen vor, also in Lebensräumen, wo man sie im Norden nie antrifft. Zumindest in manchen Regionen findet man sie auch in mehr oder weniger brackigen, also meerwasserhaltigen Lagunen und Flussmündungen in Meeresnähe oder leicht salzigen Steppengewässern. Interessant ist, dass in Gebieten mit hohen Individuendichten immer wieder berichtet wird, dass Europäische Sumpfschildkröten in kilometerweiter Entfernung vom nächsten Gewässer gefunden werden. Dies deutet darauf hin, dass die Tiere manchmal lange Überlandwanderungen vornehmen.

Verbreitung

Gesamtverbreitungsgebiet der Europäischen Sumpfschildkröte (ohne eingeschleppte und wiederangesiedelte Bestände)

Gesamtverbreitungsgebiet der Europäischen Sumpfschildkröte (ohne eingeschleppte und wiederangesiedelte Bestände)

Die Europäische Sumpfschildkröte besiedelt ein riesiges Verbreitungsgebiet, das sich von Portugal und Spanien mit großen Verbreitungslücken in West- und Mitteleuropa ostwärts bis zum ehemaligen Aralsee erstreckt. Es schließt Teile des westlichen Nordafrikas genauso mit ein wie die Apenninen- und Balkan-Halbinseln und den
größten Teil der asiatischen Türkei. Im Ostseeraum kommt die Art heute noch im Baltikum vor, mit autochthonen Reliktvorkommen in Litauen und Lettland. Die Europäische Sumpfschildkröte kommt auch auf Mallorca, Menorca, Korsika und Sardinien vor, allerdings wurden die Tiere dort bereits vor langer Zeit eingeschleppt. Auf Sizilien siedelt die nahverwandte Sizilianische Sumpfschildkröte (Emys trinacris). Nach der letzten Eiszeit kam die Europäische Sumpfschildkröte erheblich weiter im Norden vor als heute. In der maximalen Ausdehnung umfasste das Verbreitungsgebiet nicht nur diejenigen Teile Mittel- und Westeuropas, wo die Art heute fehlt, sondern ganz Dänemark, Süd- und Mittelschweden, Südengland und weitere Teile des Baltikums. Mit einer klimatischen Verschlechterung einhergehend verschwand sie aus vielen nördlichen Gebieten, und dieser Rückzug wurde durch den Menschen insbesondere in den letzten Jahrhunderten erheblich beschleunigt. Das Erlöschen vieler Vorkommen in West-, Mittel- und Osteuropa ist nicht auf den Klimawandel, sondern auf den Einfluss des Menschen zurückzuführen, wobei die Faktoren Lebensraumzerstörung und in früheren Jahrhunderten die übermäßige Nutzung als Nahrungsmittel herausragende Rollen spielten (siehe Kapitel „Fang und Handel“).

Verbreitung in Deutschland

Verbreitung von Emys orbicularis in Deutschland. Einzelfunde von 1900–1914; grau hinterlegt ist das rezente Areal, rot sind die Landeshauptstädte

Verbreitung von Emys orbicularis in Deutschland. Einzelfunde von 1900–1914; grau hinterlegt ist das rezente Areal, rot sind die Landeshauptstädte

In den westlichen Gebieten Deutschlands sind die letzten natürlichen Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte schon vor rund 300 Jahren erloschen. Vor 40–50 Jahren war die Art in Brandenburg und dem südlichen Mecklenburg-Vorpommern zwar bereits deutlich im Rückgang begriffen, aber noch relativ weit verbreitet. Aktuell existieren nur noch im Bundesland Brandenburg natürliche Restvorkommen. Nachweise in anderen Bundesländern gehen auf kontrollierte oder unkontrollierte Aussetzungen zurück, und genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass viele dieser Tiere offenbar aus den „klassischen Urlaubsgebieten“ im Mittelmeerraum stammen. Die Aussetzung genetisch unpassender Schildkröten stellt für einheimische Vorkommen eine latente Gefahr dar, da zum einen Krankheitskeime eingeschleppt werden können und zum anderen zu befürchten ist, dass die Anpassung an das nördliche Vorkommensgebiet durch die genetische Vermischung mit Sumpfschildkröten aus dem Süden verloren geht.

Textautoren: Uwe Fritz, Norbert Schneeweiß & Richard Podloucky

 

Verbreitung in Österreich

Verbreitung der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) in Österreich: Nachweise ab 1980; bei den rot hinterlegten Fundpunkten handelt es sich um regelmäßig reproduzierende Bestände (Quelle: Herpetofaunistische Datenbank, Naturhistorisches Museum Wien)

Verbreitung der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) in Österreich: Nachweise ab 1980; bei den rot hinterlegten Fundpunkten handelt es sich um regelmäßig reproduzierende Bestände (Quelle: Herpetofaunistische Datenbank, Naturhistorisches Museum Wien)

Fossile Überreste und Belege aus frühen Kulturepochen weisen auf eine einst weite Verbreitung der Europäischen Sumpfschildkröte in Österreich hin. Auffallend sind Fundhäufungen ab dem Frühneolithikum bis zur Bronzezeit (etwa 5.500–800 v. Chr.) im Bereich der Donau und March. Das Donautal dürfte demnach bis zum Kamp (Rosenburg) besiedelt worden sein. Weitere frühzeitliche Funde stammen aus dem Neusiedlerseegebiet, dem Rheintal, Südkärnten und der südlichen Steiermark. In den letzten Jahren wurden die rezenten Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte in Österreich, die hier als eigenständige Wildtierart gelten kann, diskutiert.Eine eindeutige Klarstellung, ob es sich bei Fundmeldungen um Exemplare eines autochthonen (ursprünglich heimischen) Bestandes handelt, lässt sich jedoch nur mit Hilfe molekularbiologischer Methoden erreichen. Als bislang einzige bekannt gewordene Population von alteingesessenen Tieren kann demnach jene im Nationalpark Donau-Auen in Niederösterreich gelten. Dieses Gebiet liegt bezeichnenderweise in der pannonischen Klimaprovinz mit trockenen, heißen Sommern und somit hohen sogenannten Jahreswärmesummen. Die Sequenzierung des mitochondrialen Cytochrom-b-Gens ergab zudem, dass sich die Europäischen Sumpfschildkröten in den Donau-Auen unterhalb Wiens vorwiegend einem einheitlichen genetischen Typ zuordnen lassen. Dagegen sind Tiere aus der näheren Umgebung Wiens genetisch heterogen und dürften aus den östlichen Vorkommensgebieten (Polen, Russland) sowie dem Mediterran Raum stammen.

Dieser Altarm im Nationalpark Donau-Auen (Tiergartenarm) ist ein idealer Lebensraum für Europäische Sumpfschildkröten; Foto: Nationalpark Donau-Auen

Dieser Altarm im Nationalpark Donau-Auen (Tiergartenarm) ist ein idealer Lebensraum für Europäische Sumpfschildkröten; Foto: Nationalpark Donau-Auen

Regelmäßig werden zweifelhafte Angaben über das Vorkommen von Europäischen Sumpfschildkröten aus verschiedenen Bundesländern gemacht, selbst im alpinen Bereich. Jüngst durchgeführte Untersuchungen an Europäischen Sumpfschildkröten in Vorarlberg, wo Reliktvorkommen erwartet werden könnten, ergaben jedenfalls, dass die Art dort heute als ausgestorben gelten muss. Auch Einzelexemplare aus Kärnten erwiesen sich nach neueren molekulargenetischen Untersuchungen als gebietsfremd (allochthon). Trotz dem kann ein natürliches Vorkommen außerhalb der Donau-Auen im Burgenland, in der Südsteiermark sowie in Südkärnten nicht ausgeschlossen werden, besonders wenn man die Fähigkeit der Europäischen Sumpfschildkröte in Betracht zieht, dass sie zumindest Strecken bis zu 1 km und mehr über Land bewältigen und ihr Migrationsverhalten bei entsprechenden Wassernetz en sehr ausgeprägt sein kann.
Die Donau-Auen, die seit 1996 zwischen Wien und Bratislava zum Großteil (9.300 ha) Nationalparkgebiet sind, bilden einen Lebensraum, in dem sich noch großräumig vernetzte Wasserflächen erhalten haben, mit verschiedensten Ausprägungen von Wasserhabitaten und relativ geringer Beeinflussung durch den Menschen. Die Schildkröten besiedeln vorwiegend stehende Altarme der Donau, werden.

Die Eiablage findet im Nationalpark Donau-Auen im Schotterbereich der Flüsse statt; Foto: Nationalpark Donau-Auen

Die Eiablage findet im Nationalpark Donau-Auen im Schotterbereich der Flüsse statt; Foto: Nationalpark Donau-Auen

Die Schotterböden mit trockenen Wiesen und sogenannten Heißländen (Brennen = alte Schotterablagerungen in den Randzonen der Flüsse) dienen als mögliche Eiablageplätze, doch werden auch natürliche und künstliche Böschungen und Uferanrisse angenommen. Gute Bestände von reproduzierenden Amphibien und Wassermollusken liefern ein ausreichendes Nahrungsangebot. Die Ausbreitung des Bibers kommt den Europäischen Sumpfschildkröten entgegen, denn dadurch wird genügend Totholz geschaffen, das zum Sonnen angenommen wird und gleichzeitig bei der Flucht ins Wasser als Deckung dient. Die unbeschatteten Uferböschungen ermöglichen eine längere Sonneneinstrahlung und sind zur Thermoregulation günstig.

Textautoren: Richard Gemel & Maria Schindler (Österreichische Gesellschaft für Herpetologie – ÖGH)

 

Verbreitung in der Schweiz

Verbreitung der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz auf der Basis von 25 km²-Quadranten: Gelbe Punkte = Nachweise vor 2005, rote Punkte = Nachweise seit 2005 (Quelle: karch, Schweiz). Fast alle Beobachtungen dürften auf entwichene oder freigesetz te Individuen zurückgehen.

Verbreitung der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz auf der Basis von 25 km²-Quadranten: Gelbe Punkte = Nachweise vor 2005, rote Punkte = Nachweise seit 2005 (Quelle: karch, Schweiz). Fast alle Beobachtungen dürften auf entwichene oder freigesetz te Individuen zurückgehen.

Das Vorkommen der beiden Unterarten der Europäischen Sumpfschildkröte Emys orbicularis orbicularis und E. o. hellenica in der Schweiz wird seit langem kontrovers diskutiert. Während einige Fachleute den Standpunkt vertreten, dass diese Art in der Schweiz nie autochthon (einheimisch, natürlicherweise verbreitet) vorgekommen ist, gehört sie für andere selbstverständlich zur heimischen Herpetofauna und ist erst in historischer Zeit infolge des Verlusts an Lebensräumen und allenfalls der Bejagung an den Rand des Aussterbens gebracht worden. Tatsächlich ist die Informations- und Indizienlage rund um das Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz verworren, und auch historische faunistische Quellen zeichnen diesbezüglich kein klares Bild. Erschwerend kommt hinzu, dass die Europäische Sumpfschildkröte möglicherweise bereits in prähistorischer Zeit, sicher aber im Mittelalter als Handelsware – sie galten als Fastenspeise – in die Schweiz eingeführt und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch freigesetzt wurde. Zusätzlich kompliziert wird eine Beurteilung der Situation heute auch durch die zwischen 1950 und 1980 an verschiedenen Orten durchgeführten offiziellen Ansiedlungs- oder Wiederansiedlungsversuche mit Tieren ganz unterschiedlicher Herkünfte, vermutlich ergänzt durch zahlreiche private und willkürliche Freisetzungsaktionen, die sich der Kenntnis der Fachwelt und der Kontrolle durch die Gesetzgebung entziehen.

Lebensraum der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz im Schutzgebiet Moulin-de-Vert (Genf); Foto: S.Ursenbacher

Lebensraum der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz im Schutzgebiet Moulin-de-Vert (Genf); Foto: S.Ursenbacher

Die Europäische Sumpfschildkröte kann sich unter Schweizer Klimabedingungen nur in den tiefsten Landeslagen unterhalb 500 m ü. NN fortpflanzen. Entsprechende Feuchtgebiete und Gewässer ausreichender Ausdehnung findet sie noch vereinzelt entlang der großen Flüsse Rhone, Aare, Reuss und Rhein, im Dreieck des Bieler-, Murten- und Neuenburgersees sowie im Tessin. Der limitierende Faktor für die Etablierung einer reproduzierenden Population dürfte in vielen Fällen das Fehlen oder die eingeschränkte Erreichbarkeit geeigneter Eiablageplätze darstellen.

Textautoren: Andreas Meyer & Sylvain Ursenbacher (Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz – karch)

 

 

 

Textquelle: Aktionsbroschüre zum Reptil des Jahres 2015 (hier als pdf herunterladen)

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