Das Leben der Würfelnatter im Jahresverlauf
Fortpflanzung
Wie es für Reptilien generell gilt, bestimmen die Außentemperaturen die Jahres- und Tagesaktivitäten der Würfelnattern. Nach einer 5–6-monatigen Winterruhe verlassen die ersten aktiven Würfelnattern, vorwiegend Männchen, die Winterquartiere im April, manchmal auch schon an besonders warmen Märztagen. Ungefähr 2–4 Wochen nach der Winterruhe beginnt die Paarungszeit. Die Weibchen senden einen auf Männchen unwiderstehlich wirkenden Lockstoff (Pheromon) aus, durch den diese aus einer Entfernung von bis zu mehreren hundert Metern angelockt werden können. Als Folge bedrängen bis zu 10 Männchen ein Weibchen und können ein so genanntes Paarungsknäuel bilden. Dies könnte zu mehrfacher Vaterschaft führen, wie Untersuchungen an verschiedenen amerikanischen Wassernattern gezeigt haben, wo bis zur Hälfte der Gelege von mehreren Vätern stammte. Nach der Paarung suchen die trächtigen Weibchen geschützte, gut besonnte Plätze auf. 6–8 Wochen nach der Paarung, zwischen Ende Juni bis Mitte August, setzen die Weibchen je nach Körpergröße 5–25 Eier ab. Als Eiablageplatz werden gerne lockere, verrottbare Substrate wie Humus- oder Treibgutanschwemmungen, Kompost- oder Misthaufen unter Nutzung der Vergärungswärme als natürliche „Brutschränke“ aufgesucht. Daneben werden Gelege aber auch in Schwemmholz, Mauern oder in Hohlräumen steiniger Uferstrukturen gefunden. An idealen Eiablageplätzen finden sich oft mehrere Weibchen gemeinsam zur Eiablage ein, und gelegentlich nutzen Ringelnattern dieselben Substrate, in die sie ihre Eier ebenfalls mit hineinlegen.
Eine Würfelnatterpaarung können Sie hier als Video ansehen: Würfelnatter – Paarung in der Lagune
Die Reifezeit der Gelege beträgt zwischen 6 und 10 Wochen und ist von der Umgebungstemperatur abhängig. Die Jungtiere schlüpfen meist ab Mitte August und haben dann eine Körperlänge von 14–24 cm und ein Gewicht von 5–7 g. Sie sind vom ersten Tag an auf sich alleine gestellt und müssen sich in der kurzen Periode vor der Winterruhe möglichst große Fettreserven anfressen. Bei günstiger Witterung wachsen sie vor der ersten Überwinterung bereits 1–3 cm, im nächsten Lebensjahr überschreiten sie meist die 30-cm-Marke und erreichen im 3. Lebensjahr durchschnittlich 40 cm Länge. Ab dieser Größe können die Würfelnattern bereits geschlechtsreif werden. Herbstpaarungen finden gelegentlich gegen Ende der Aktivitätsperiode statt. Ende September oder Anfang Oktober suchen die Schlangen dann ihre Winterquartiere auf, die meist in Ufernähe liegen. Vereinzelt können Würfelnattern jedoch auch während ungewöhnlich warmer Wintertage gefunden werden.
Einen Großteil des Tages verbringt die Würfelnatter am oder im Wasser. Als wechselwarmes, von der Umgebungstemperatur abhängiges Reptil nutzt sie gerne besonnte und sich leicht erwärmende Standorte in Ufernähe als Sonnenplätze. Dort kann sie vor allem in den Vormittagsstunden beobachtet werden. Nachmittags halten sich die Schlangen bevorzugt im Wasser auf, wo sie meist dem Beutefang nachgehen. Zum Atmen, aber auch zum Erkunden der Umgebung, dem so genannten „Sichern“, bringt die Natter dann in Abständen von höchstens ca. 10 Minuten den Kopf über die Wasseroberfläche. Während heißer Nachmittagsstunden sowie in den heißen und trockenen Sommermonaten verkriechen sich die Würfelnattern oft in den schattigen Schutz von Gebüschen und hoch stehendem Gras oder suchen die kühleren Nischen zwischen den Steinen und Felsritzen auf. Die versteckte Lebensweise im Sommer könnte auch der Vermeidung vor Überhitzung, Wasserverlust, Räubern und/oder Nahrungsknappheit dienen. Überhaupt sind die Würfelnattern innerhalb einer Saison relativ standorttreu, wobei sich Einzeltiere innerhalb einer Flussuferlänge von 2000 m, meist aber weniger als 500 m, aufhalten.
Beute und Beutefang
Würfelnattern ernähren sich in Mitteleuropa fast ausnahmslos von Fischen. Das Beutespektrum von Natrix tessellata umfasst Fische der verschiedensten Arten (z. B. Hasel, Gründling, Barsch, Karpfen, Barbe), wobei die Zusammensetzung je nach Standortangebot stark variiert. Im Süden und Osten des Verbreitungsgebietes wird allerdings auch von Würfelnatter-Populationen berichtet, die sich teilweise oder sogar überwiegend von verschiedenen Amphibienarten ernähren. Kleinere Beutetiere werden direkt im Wasser gefressen, größere erst ans Ufer transportiert. Dort ist es für die Schlangen „einfacher“ die Fische zu drehen, um sie mit dem Kopf voran zu verschlingen. Die Würfelnatter kann Fische erbeuten, die bis zu 20 % ihres Körpergewichtes wiegen, Jungtiere bewältigen sogar Beutetiere mit bis zu einem Drittel ihres eigenen Gewichtes.
Die Würfelnatter geht ausschließlich im Wasser auf Jagd. Beim Fischfang lassen sich zwei Strategien unterscheiden: Die eine Fangmethode besteht in einem aktiven, systematischen und gezielten Suchen und Aufspüren von (versteckten) Beutefischen am Bodengrund der Gewässer, wobei sich die Schlange selbst zwischen oder unter Steinen, Ästen, zwischen Algen oder in der Unterwasservegetation usw. in engste Spalten oder Ritzen zwängt. Dabei wird dauernd gezüngelt, was vermutlich der Geruchsaufnahme unter Wasser dient.
Als alternative Jagdmethode lauert die Schlange oftmals im Wasser schwebend, wobei der Körper mit dem hinteren Teil am Bodengrund zwischen Steinen, Flussschotter u. ä. „verankert“ sein kann. Vorbeischwimmende oder in Reichweite kommende Fische werden dann durch blitzschnelles Zustoßen erbeutet.
Fischende Würfelnattern können zu allen Tageszeiten beobachtet werden, meist in flachen Wasserzonen. In Seen jagen sie bis zu einer Tiefe von 10 m, aber immer oberhalb der thermischen Sprungschicht, in der die Wassertemperatur auf 1–2 m stark abfällt. Eine Schlange braucht oft mehrere Versuche, um einen Fisch zu erwischen. Bei Herannahen eines Beutetiers wird das Züngeln immer heftiger. Dabei ähneln die hellen Spitzen auf der sonst schwärzlichen Zunge einem zappelnden Wurm und locken so neugierige Fische an.
Feinde und Verteidigung
Zu den natürlichen Feinden der Würfelnatter zählen Wanderratten (Rattus norvegicus), Mauswiesel (Mustela nivalis), Fischotter (Lutra lutra) und Hermelin (Mustela erminea) sowie verschiedene Reiherarten (z. B. Graureiher), Schwarzstorch (Ciconia nigra), Eisvogel (Alcedo atthis), Rabenvögel (Corvidae) und Lachmöwe (Larus ridibundus). Auch verschiedene andere Wasservögel sowie Raubfische (z. B. Hechte) erbeuten gelegentlich die im Wasser aktiven Schlangen. Freilaufende Hunde und Katzen stellen gebietsweise eine große Gefahr für die Würfelnattern (und auch andere Reptilienarten) dar. Als Gelegeräuber gelten verschiedene Kleinsäuger wie Marder und Wiesel, aber z. B. auch der eingebürgerte Waschbär.
Die harmlose, ungiftige Würfelnatter gilt als extrem beißfaul, nach eigenen langjährigen Erfahrungen beißt sie nie. Zur Verteidigung und zum Schutz steht ihr dennoch eine ganze Reihe von Verhaltensweisen zur Verfügung. Bei der Annäherung durch einen Menschen vertrauen Würfelnattern entweder auf ihre Tarnung und bleiben liegen, oder sie fliehen auf dem kürzesten Weg ins nächste Loch im Ufergelände bzw. auf dem kürzesten Weg ins Wasser und tauchen dort ab. Können sie aber nicht mehr fliehen, so zischen sie oftmals laut und flachen den Körper stark ab, wodurch die Schlange größer erscheint und mit ihrem dreieckig abgeplatteten Kopf einer giftigen Viper ähnelt, für manch einen Räuber ein gelungener Bluff. Selten führen die Nattern mit geschlossenem Maul Scheinbisse durch. Als Schreckreaktion setzen sie meist Kot ab und schmieren durch schlingende Bewegungen sich oder den potentiellen Räuber mit einem nach faulem Fisch riechenden Sekret aus der Analdrüse ein. Eine wahrlich ungenießbare Beute!
Bei andauernder Belästigung vergraben die Nattern schließlich ihren empfindlichen Kopf unter einer Körperschlinge oder stellen sich gänzlich tot. Dabei legen sie – meist etwas zusammengerollt – vor allem den Kopf, manchmal auch größere Teile des Körpers, zur Seite oder auf den Rücken, sodass die Bauchseite nach oben weist. Zusätzlich öffnen sie das Maul und lassen die Zunge heraushängen, selten wird sogar der Austritt von Blut aus dem Maul beobachtet. Das aktiv abgegebene Blut ahmt eine schwere Verletzung nach oder verstärkt den Eindruck eines toten, nicht mehr ganz frischen Tieres (Akinese).
Textquelle: Aktionsbroschüre 2009 „Die Würfelnatter“ (download)
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