Westliche Blindschleiche

Sep. 9, 2013 by     Posted under: Artensteckbriefe Reptilien

Artensteckbrief Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis)

Blindschleiche (Anguis fragilis) Trier, 06.2012, Foto: Ulrich Schulte

Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis), Männchen mit leichter Blaufleckung, Trier, 23.05.2012, Foto: Ulrich Schulte

Art:
Anguis fragilis, Westliche Blindschleiche

Heimische Unterart(en):
Anguis fragilis fragilis

Fauna-Flora Habitatrichtlinie:
——

Rote Liste Status:
RL Deutschland (2009): ungefährdet

RL BB (2004): ungefährdet **
RL BE (2004): gefährdet
RL BW (1999): ungefährdet
RL BY (2003): Vorwarnliste
RL HE (2010): ungefährdet
RL HH (2004): Daten unzureichend
RL MV (1992): gefährdet
RL NI (1994): ungefährdet
RL NW (2011): Vorwarnliste
RL RP (1996): Vorwarnliste
RL SH (2003): Gefährdung unbekannten Ausmaßes
RL SL (2008): ungefährdet
RL SN (1999): ungefährdet
RL ST (2004): ungefährdet
RL TH (2011): ungefährdet

 

Anguis fragilis, Blindschleiche, Männchen in Häutung, Deutschland, Thüringen, offen gelassene Sandgrube bei Geroda, 17.04.2011, Foto: Andreas Nöllert

Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis), Männchen in Häutung, Deutschland, Thüringen, offen gelassene Sandgrube bei Geroda, 17.04.2011, Foto: Andreas Nöllert

Beschreibung:

Die Blindschleiche ist mit ihrem langgestrecktem (Gesamtlänge 40-54 cm), im Querschnitt kreisrunden Körper ohne Extremitäten und ohne sichtbare äußere Ohröffnungen einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die Grundfärbung adulter Schleichen reicht von einem Braun, Grau und Bronze bis hin zu einem Kupfer-Farbton. Jungtiere zeigen eine typische schwarze Linie („Aalstrich“) auf der silberweißen oder goldgelben Oberseite, die vom Hinterkopf bis zur Schwanzspitze verläuft und bei den meisten adulten Individuen verschwindet. Die Flanken und die Bauchseite sind schwarz gefärbt. Der Kopf der Blindschleiche ist klein und geht direkt in den Rumpf über. Die Zeichnung der Kopfunterseite eignet sich neben der Schuppenan-ordnung auf der Kopfoberseite zur individuellen Identifizierung bei Fang-Wiederfang Unter-suchungen. Charakteristisch sind ihre auffällig glatten und glänzenden Schuppen. Unter diesen befinden sich zahlreiche Knochenplättchen (Osteoderme), die der Blindschleichen nur eine relativ steife und im Vergleich zu den Schlangen sehr eingeschränkte Fortbewegung ermöglichen. Der Schwanz endet mit einer hornigen Spitze und kann abgeworfen (autotomiert) werden. Die Regeneration des Schwanzes verläuft jedoch wesentlich langsamer und auch unvollständiger als bei den Echten Eidechsen. Um mit ihrer dickfleischigen Zunge zu riechen, müssen Blind-schleichen ihre Kiefer öffnen, da ihnen im Gegensatz zu den Schlangen eine Oberlippenlücke fehlt. Zudem sind Blind-schleichen als Echsen in der Lage ihre Augenlider zu bewegen und zu verschließen.

 

Gesamtverbreitung:

Neuere genetische Analysen zeigen, dass es sich bei der Blindschleiche um einen Artkomplex aus vier verschiedenen Arten handelt. Die Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis) ist über weite Teile West-Europas verbreitet. Die nörd-lichsten Vorkommen finden sich in Nordschweden (Provinz Västerbotten), die südlichsten vermutlich in Kampanien, Italien. Die West-Ost Ausrichtung des Areals reicht von Portugal im Westen bis in die Tschechische Republik und die Südwest-Slowakei im Osten. Es ist anzunehmen, dass die Art auch noch weiter in Ungarn westlich der Donau verbreitet ist. Östlich angrenzend beginnt das Areal der Östlichen Blindschleiche (Anguis colchica), wobei die Verbreitungs-situation der Arten auf dem nordwestlichen Balkan und die Kontaktzonen zwischen A. fragilis, A. colchica und der Griechischen Blindschleiche (A. graeca) noch nicht abschließend geklärt sind.

 

Verbreitungskarte Blindschleiche - Anguis fragilis (Linnaeus, 1758)

Verbreitungskarte Blindschleiche – Anguis fragilis (Linnaeus, 1758)

Landschaftsausschnitte wo Anguis, Lacerta agilis, und Coronella gemeinsam vorkommen - also mehr oder weniger typische Reptilienlebensräume im Mittleren Saaletal. Coronella a. austriaca, Glattnatter, Deutschland, Thüringen, Jena, NSG "Windknollen", 22.05.2012, Foto: Andreas Nöllert

Typische Reptilien-lebensräume im Mittleren Saaletal.  Jena, NSG „Hufeisen-Jenzig“, 03.08.2008, Foto: Andreas Nöllert

Verbreitung national:

In Deutschland ist die Blindschleiche das häufigste Reptil. Sie kommt in fast allen Regionen vor, und es zeigt sich anhand neuerer Landesfaunen, dass viele frühere Fundlücken in erster Linie Erfassungsdefizite widerspiegeln. Deutliche Verbreitungsschwer-punkte der Art liegen in den bewaldeten Mittelgebirgen. Echte Fundlücken bestehen auf Fehmarn, den Nordseeinseln und in den Marschgebieten der Nordseeküste.
Hier finden Sie den Verbreitungsatlas für alle einheimischen Reptilien und Amphibien.

  

 

Anguis fragilis, Blindschleiche, Deutschland, Thüringen, Jena, NSG "Hufeisen-Jenzig", 11.05.2008, Foto: Andreas Nöllert

Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis), Deutschland, Thüringen, Jena, NSG „Hufeisen-Jenzig“, 11.05.2008, Foto: Andreas Nöllert

Lebensräume:

Als euryöke Art besiedelt sie eine Vielzahl unterschiedlicher Biotope. Dazu gehören die Randbereiche lichter Laubwälder, Hecken, Hochmoore, Heidegebiete, Brachen, Wiesen, Bahndämme, Wegränder, Parks und naturnahe Gärten. Die Blindschleiche ist neben der Mauereidechse als Kulturfolger unter den heimischen Reptilien zu bezeichnen. Blindschleichen haben eine Präferenz für eine deckungsreiche krautige Vegetation und gewisse Bodenfeuchte. Als trockene Sonnenplätze fungieren Totholz, offener Humusboden und Torf. Versteckplätze findet die langsam kriechende Echse in Erdlöchern, Hohlräumen unter Baumwurzeln und in Baumstubben, unter Steinen und insbesondere in Laub- und Komposthaufen.

 

 

Westliche Blindschleiche (<em>Anguis fragilis</em>), Männchen in Häutung, Deutschland, Thüringen, offen gelassene Sandgrube bei Geroda, 17.04.2011, Foto: <em>Andreas Nöllert</em>

Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis), Männchen in Häutung, Deutschland, Thüringen, offen gelassene Sandgrube bei Geroda, 17.04.2011, Foto: Andreas Nöllert

Wissenswertes:

Blindschleichen können sehr alt werden. Aus der Terrarienhaltung sind Angaben über ein Alter von 20-46 Jahren bekannt. Betrachtet man die Fortpflanzung der Blindschleiche genauer, so kann die Art als Überleitung zur echten Viviparie betrachtet werden. So ist die fibrilläre Eischale zehnmal dünner als die der Waldeidechse. Zudem ist vermutlich ein einge-schränkter Stoffaustausch zwischen Mutter und Keim möglich. Von der echten Viviparie trennt sie dennoch das Fehlen einer Allantoisplazenta.

 

Gefährdung & Schutz:

Die Blindschleiche ist die Reptilienart zu der mit Abstand am wenigsten Daten zur Bestands-entwicklung vorliegen. Dieser Kenntnissmangel zusammen mit ihrer vermeintlichen Häufig-keit haben dazu geführt, dass die Blindschleiche bundesweit weiterhin als „ungefährdet“ gilt. Dennoch ist auch die Blindschleiche in erster Linie wie alle weiteren heimischen Reptilien ebenfalls durch einen Verlust an Lebensraum, sei es direkt durch Habitatzerstörung oder durch eine Verschlechterung der Habitatqualität gefährdet. Verluste ihres Lebensraumes sind durch Flurbereinigungen, Abtorfungen, eine Intensivierung der Landwirtschaft und insbesondere Aufforstungen zu verzeichnen. Eine veränderte Waldbewirtschaftung in den letzten 30 Jahren führte vielerorts zu einem großflächigem Verlust von natürlichen Waldrändern und Kahlschlägen. So ist das Zulassen einer natürlichen Walddynamik zur Förderung lichter Waldstrukturen, die auch weiteren Reptilienarten (Kreuzotter, Wald-eidechse) zugute kommt eine grundlegende Maßnahme zum Schutz der Bestände. Zahlreiche Verluste sind auch bei Mäharbeiten (Kreiselmähwerk) von feuchten Wiesen zu verzeichnen, hier kann durch den Einsatz von Balkenmähwerk oder Sense gegengesteuert werden. Aufgrund ihrer langsamen Fortbewegungsweise wird die Blindschleiche auf Wald-wegen und unbefestigten Nebenstraßen häufig Opfer des Auto- aber auch Fahrradverkehrs. Innerhalb von Siedlungen stellt das Ausbringen von Schneckenkorn eine Bedrohung dar. Zudem ist die Prädation durch Hauskatzen eine nicht zu unterschätzender Gefährdungsfaktor.

Literatur:

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 Text: Ulrich Schulte

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