Bedrohungsstatus der Europäischen Sumpfschildkröte

Dez 18, 2012 by     Posted under: Geförderte Projekte 2010

Projektdurchführung: Soumia Fahd & Uwe Fritz
Fördersumme: 2.150 Euro

Originaltitel:

Zur Verbreitung und zum Bedrohungsstatus der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) in Marokko / Conservational status of Emys orbicularis in Morocco

Die Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis (L., 1758), ist eine weit verbreitete Art, die von der marokkanischen und iberischen Atlantikküste bis zum Aralsee in Mittelasien vorkommt. Die nördlichsten Populationen leben in Russland im Gebiet von Moskau, die südlichsten in Marokko, Algerien und Tunesien sowie im türkisch-syrischen Grenzgebiet (Fritz 2003). In Marokko ist die Art nur mit wenigen Populationen vertreten, die im Norden des Landes über ein Gebiet mit etwa 30.000 km2 verstreut vorkommen. Nachweise existieren für das Gebiet des Rif-Gebirges, die Gharb-Ebene und den Mittleren Atlas. Im Mittleren Atlas werden von der Sumpfschildkröte Höhen um 1600-1700 m u. NN erreicht (Bons & Geniez 1996, Fritz 2003). Die Populationen im Rif-Gebirge sind auf wenige kleine, sehr spezielle Relikthabitate beschrankt, wie es für Arealrandpopulationen typisch ist. Diese Lebensräume sind hier, genau wie das Vorkommen der Sumpfschildkröte, Zeugen wasserreicherer früherer Klimaepochen. In den letzten 20 Jahren wurden zwar zahlreiche Daten zur Biologie von E. orbicularis veröffentlicht, sie beziehen sich aber fast ausschließlich auf europäische Populationen (siehe die Übersicht in Fritz 2003).

Weibliche europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), Rif-Gebirge. Der Panzer ist durch eisenhaltige Ablagerungen rötlich verfärbt

Weibliche europäische Sumpfschildkröte ( Emys orbicularis), Rif-Gebirge.
Der Panzer ist durch eisenhaltige Ablagerungen rötlich verfärbt

Zu nordafrikanischen Vorkommen gibt es dagegen kaum Untersuchungen. Dies ist durchaus erstaunlich, weil E. orbicularis hier erheblich seltener und viel starker bedroht ist als beispielsweise die Maurische Landschildkröte (Testudo graeca L., 1758), deren Verbreitung und Gefährdungsstatus vergleichsweise gut erforscht sind. Daher beschlossen wir, die aktuelle Verbreitungssituation der Sumpfschildkröte in Marokko zu untersuchen und Daten zu ihrer Biologie zusammenzutragen. Dies soll als Basis für konkrete Schutzmaßnahmen dienen. In einem ersten Schritt überprüften wir im Rahmen eines von der DGHT geforderten Projektes (Hans-Schiemenz-Fonds) altere Literaturnachweise und den Zustand der in der Literatur genannten Lebensräume. In diesem Beitrag wollen wir über die im Jahr 2008 zusammengetragenen Daten berichten. Exakte Sumpfschildkröten-Fundorte werden hier aus Schutzgründen allerdings nicht genannt.

Rif-Gebirge
Hier existieren drei Vorkommensgebiete mit mehreren Populationen. Die größte Population mit ca. 50 Sumpfschildkröten lebt in einem Feuchtgebiet mit ca. 1800 m2 Fläche. Die Gewässertiefe betragt hier 1,3 m im Winter und sinkt auf 80-90 cm im Frühjahr. Im Sommer fallt das Gewässer völlig trocken. Die Vegetation in der Umgebung besteht aus einem intakten Eichenwald aus Quercus canariensis und Q. pyrenaica. Eine zweite Population besteht aus rund 30 Individuen und kommt in einem viel kleineren Gewässer mit nur etwa 20 m2 Fläche (Tiefe 1-1,5 m) vor, das ebenfalls in einem ungestörten Eichenwald (Q. pyrenaica) liegt. Trotz der kleinen Fläche beherbergt dieses Feuchtgebiet eine recht reichhaltige Herpetofauna, die neben E. orbicularis die folgenden Arten umfasst: Mauremys leprosa, Pelophylax saharicus, Discoglossus scovazzi, Bufo mauritanicus und Hyla meridionalis.

Im dritten Vorkommensgebiet im Rif-Gebirge wurde E. orbicularis für zwei verschiedene Feuchtgebiete nachgewiesen. Das erste mit ungefähr 2500 m2 Fläche liegt in einem gut erhaltenen Kiefernwald. Hier konnten wir bislang nur eine einzige Europäische Sumpfschildkröte beobachten; zweifellos sind aber mehr Exemplare vorhanden. In einem wesentlich kleineren, nicht allzu weit entfernten Gewässer mit nur 1 m2 Fläche fanden wir vier adulte E. orbicularis sowie drei Jungtiere. In der Literatur (Guillaume & Bons 1982, Jacquemin 1983) für das Rif-Gebirge genannte Fundorte sowie eine weitere Stelle, an der Philippe Geniez E. orbicularis beobachtet hatte, wurden von uns sorgfältig untersucht, ohne dass wir die Art hier bestätigen konnten. Wir können allerdings nicht ausschließen, dass die Europäische Sumpfschildkröte hier immer noch vorkommt, da die Fundortangaben recht ungenau sind und E. orbicularis wesentlich schwieriger nachzuweisen ist, als die syntop auftretende M. leprosa. Wir gehen insgesamt davon aus, dass im Rif-Gebirge noch weitere Vorkommen von E. orbicularis existieren konnten.

Gharb-Ebene
Hier wurden von uns insbesondere die in der Literatur (Pasteur & Bons 1957) genannten Fundorte in der Gharb-Ebene sowie längs der Atlantikküste von Asilah bis Kenitra untersucht, allerdings ohne jeglichen Erfolg. Die meisten Habitate sind seit den 1950er Jahren stark durch den Menschen verändert worden. Die natürliche Vegetation musste weiten Getreide-, Gemüse- und Zuckerrohr-Anbauflächen Platz machen. Auch an den Fundorten südlich von Rabat (Pasteur & Bons 1957) konnten wir keine Sumpfschildkröten nachweisen und mussten dasselbe wie weiter nördlich feststellen:
Die meisten der ursprünglich häufigen Kleingewässer sind vollkommen verschwunden. Hierzu haben mehrere extrem wasserarme Jahre beigetragen. Selbst größere Gewässer wie die Merja Samora in der Nahe von Dar Gueddari (Pasteur & Bons 1957) sind verschwunden, und heute finden sich dort, wo das ursprüngliche Gewässer lag, nur noch Getreide- und Bohnenfelder. Die Merja Bokka (Pasteur & Bons 1957) erstreckt sich dagegen noch immer über eine große Fläche; sie ist jedoch völlig eutrophiert und mit Wasserlinsen bedeckt. Ihre Ufer sind durch Viehtritt von Kühen, Schafen und Ziegen völlig verwüstet. Wir können jedoch nicht ganz ausschließen, dass sich zumindest in diesem stark beeinträchtigten Gewässer noch Sumpfschildkröten halten konnten.

Männliche Emys orbicularis

Männliche Emys orbicularis

Mittlerer Atlas
In diesem Gebiet konnten wir zwei Populationen von E. orbicularis nachweisen. Die erste kommt in einem Wasserlauf in einem Eichenwald (Quercus canariensis) vor. Hier konnten wir eine adulte Sumpfschildkröte und mehrere Jungtiere beobachten. Es handelt sich vermutlich um dieselbe Population, die bereits von Dollfus (1929) zu Beginn des letzten Jahrhunderts erwähnt worden war. Die zweite, mehr als 200 Exemplare umfassende Population lebt in einem See, der von Bergen umgeben ist, die mit Eichen (Quercus rotundifolia) bestanden sind. Außerdem finden sich hier kleine Getreidefelder sowie von Liliaceen durchsetztes Buschland. Bei dieser Population handelt sich um den größten Bestand in Marokko. Grundsätzlich bietet der Mittlere Atlas eine Vielzahl von Lebensräumen, die für die Europäische Sumpfschildkröte geeignet erscheinen. Es handelt sich hier um eine Region mit feuchtem Klima, die von Wasserläufen und zahlreichen Stillgewässern geprägt wird. Allerdings scheint E. orbicularis im Mittleren Atlas nicht allzu weit verbreitet zu sein, wobei unklar bleibt, ob dies natürliche Ursachen hat oder auf die Verschlechterung der Habitatqualität durch den Menschen zurückzuführen ist. Es existieren mehrere Nachweise für weitere Gewässer im Mittleren Atlas (z.B. Bons & Geniez 1996), die wir im Verlauf unserer Untersuchungen bislang nicht bestätigen konnten. Genauso wenig konnten wir in mehreren anderen, vermeintlich geeigneten Gewässern Europäische Sumpfschildkröten finden.

Fazit
Insgesamt ist der Status der Europäischen Sumpfschildkröte in Marokko höchst bedenklich, da die Art kaum mehr Lebensräume findet. Hierfür sind in erster Linie die Austrocknung bzw. Trockenlegung von Gewässern oder der schlechte Zustand der meisten Habitate verantwortlich. In anthropogen beeinträchtigten Gewässern ist die Art, im klaren Unterschied zu M. leprosa, offenbar langfristig nicht lebensfähig. Wir fuhren unsere Untersuchungen im kommenden Jahr fort, um ein noch genaueres Bild der aktuellen Situation zu erhalten. Schon jetzt ist jedoch klar, dass ein Schutz der verbliebenen intakten Gewässer die notwendige Bedingung für das langfristige Überleben von E. orbicularis, der am stärksten bedrohten marokkanischen Schildkrötenart darstellt.

Literatur

  • Bons, J. & Geniez, P. (1996): Amphibiens et reptiles du Maroc (Sahara Occidental compris). Atlas biogeographique. – Barcelona (AHE), 320 S.
  • Dollfus, R. P. (1929) : Notules herpetologiques marocaines I. – Bull. Soc. Sci. Nat. Phys. Maroc, 9 (7-8): 112.
  • Fritz, U. (2003): Die Europäische Sumpfschildkröte. – Bielefeld (Laurenti), 224 S.
  • Guillaume, C. P. & Bons, J. (1982) : Nouvelles observations herpetologiques au Maroc. – Bull. Soc. Herp. Fr., 23: 47-53.
  • Jacquemin, G. (1983) : Nouvelles observations de la Cistude Emys orbicularis L. au Maroc (Chelonia, Emydidae). – Bull. Inst. Sci. Rabat, 7: 181.
  • Pasteur, G. & Bons, J. (1957) : Sur l’herpetofaune marocaine (Leptoptyphlopides, Colubrides, Emydines). – Bull. Soc. Sci. Nat. Phys. Maroc, 37: 138-143.

Autoren : Soumia Fahd, Bahija El Marnisi, Mohamed Mediani & Uwe Fritz, Museum für Tierkunde, Senckenberg

Dieser Artikel wurde veröffentlicht in der DGHT-Mitgliederzeitschrift: elaphe 3-2009

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