Europäische Sumpfschildkröte

Sep 16, 2013 by     Posted under: Artensteckbriefe Reptilien

Artensteckbrief Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis)

Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), Weibchen, Kroatien, D. Miranje, Fluss Mirosnica, 7.4.2010, Foto: Andreas Nöllert

Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), Weibchen, Kroatien, D. Miranje, Fluss Mirosnica, 7.4.2010, Foto: Andreas Nöllert

Art:
Emys orbicularis, Europäische Sumpfschildkröte

Heimische Unterart(en):
Pontische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis orbicularis (Unterlinie 2)

Fauna-Flora Habitatrichtlinie:
FFH-Richtlinie (Anhang II und IV)

Rote Liste Status:
RL Deutschland (2009): vom Aussterben bedroht

RL BB (2004): vom Aussterben bedroht
RL BE (2004): ausgestorben
RL BW (1999): vom Aussterben bedroht
RL BY (2003): vom Aussterben bedroht
RL HE (2010): vom Aussterben bedroht
RL HH (2004): ausgestorben
RL MV (1992): vom Aussterben bedroht
RL NI (1994): ausgestorben
RL SH (2003): ausgestorben
RL SN (1999): ausgestorben
RL ST (2004): ausgestorben

 

Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), Weibchen, Kroatien, D. Miranje, Fluss Mirosnica, 7.4.2010, Foto: Andreas Nöllert

Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), Weibchen, Kroatien, D. Miranje, Fluss Mirosnica, 7.4.2010, Foto: Andreas Nöllert

Beschreibung:

Als einzige heimische Schildkröte und Vertreter der Halsberger erreicht die Pontische Sumpfschildkröte (Unterart: Emys orbicularis orbicularis) eine Panzerlänge von bis über 20 cm. Die Weibchen, deren Iris gelblich bis grünlich ist, werden größer als die Männchen (meist unter 15 cm), die eine rotbraune bis rote Iris besitzen. Ihr ovaler relativ flacher Rückenpanzer (Carapax) ist dunkel, braun-schwarz gefärbt und weist eine feine gelbliche Strich- und Punktzeichnung auf. Die Färbung des Bauchpanzers (Plastron) ist variabel und kann von einem gelb bis hin zu einem dunkel schwarz reichen. Die Halspartie und die Gliedmaßen sind ebenfalls dunkel braun-schwarz gefärbt und zeigen eine feine gelbliche Strich- und Punktzeichnung. Ihr Schwanz ist lang und dünn und kann als Unterscheidungs-merkmal gegenüber den bundesweit häufig ausgesetzten Schmuckschildkröten herangezogen werden. In Anpassung an ihre aquatische Lebensweise besitzen Sumpfschildkröten ausgeprägte Schwimmhäute an allen Gliedmaßen.

 

Gesamtverbreitung:

Die Sumpfschildkröte besiedelt ein ausgedehntes westpaläarktisches Areal, welches von Marokko im Südwesten bis zum Aralsee im Osten reicht. Nördlich dringt die Art entlang einer Linie von Zentralfrankreich, Norditalien, Niederöster-reich, der Slowakei bis nach Litauen und Russland auf Höhe von Moskau vor. In weiten Teilen Deutschlands, der Benelux-Länder, der Schweiz, Österreichs und Tschechiens kam es zu Verschleppungen und Hybridisierungen von Individuen unterschiedlichsten Ursprungs. Östlich der Elbe in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern konnten sich wenige zweifelsfrei autochthone Restbestände halten.

 

Verbreitungskarte europäische Sumpfschildkröte – Emys orbicularis (Linnaeus, 1758)

Verbreitungskarte europäische Sumpfschildkröte – Emys orbicularis (Linnaeus, 1758)

Verbreitung national:

Westlich der Elbe handelt es sich vermutlich ausnahmslos um eingeschleppte Einzeltiere oder Populationen, die aus Hybridisierung verschiedener genetischer Linien hervorgingen. Die Herkunft zahlreicher Populationen ist kaum mehr exakt zu rekonstruieren, da die Europäische Sumpfschildkröte Ende des 19. Jahrhunderts in großen Stückzahlen als Fastenspeise und auch in neuerer Zeit für Ansiedlungen in Gartenteichen gefangen und vermarktet wurde und wird. Einzig bei den Vorkommen der Art in Brandenburg in der seenreichen Uckermark und Mecklenburg-Vorpommern ist von eindeutig autochthonen Beständen auszugehen.
Hier finden Sie den Verbreitungsatlas für alle einheimischen Reptilien und Amphibien.

 

Lebensräume:

In Deutschland werden in erster Linie stark verkrautete, stehende oder nur sehr langsam fließende Gewässer mit schlammigem Bodengrund besiedelt. Abweichend von postglazialen Habitaten liegen diese Seen- und Bruchlandschaften heutzutage in Laubwäldern oder Kieferngebieten. Teilweise wird auch Brackwasser besiedelt, saure Moorgewässer oder klare Gewässer mit sandigem oder steinigem Grund werden hingegen nicht besiedelt. Charakteristisch für alle Wohn-gewässer sind ausgedehnte leicht erwärmbare flache Stillwasserzonen mit zahlreichem Totholz. Von entscheidender Bedeutung für ein langfristiges Überleben der Vorkommen ist zudem die Verfügbarkeit an geeigneten Eiablageplätzen. Dazu zählten in früherer Zeit vor allem Trockenrasen, sonnenexponierte Endmoränen und Sanddünen zu denen die trächtigen Weibchen oft weit anwanderten. Diese sind in der heutigen intensiv genutzten Agrarlandschaft nur noch sehr selten vorhanden.

 

Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), Weibchen, Kroatien, D. Miranje, Fluss Mirosnica, 7.4.2010, Foto: Andreas Nöllert

Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), Weibchen, Kroatien, D. Miranje, Fluss Mirosnica, 7.4.2010, Foto: Andreas Nöllert

Wissenswertes:

Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) ist die einzige heimische Reptilienart von der eine temperaturabhängige Geschlechtsdetermination bekannt ist (d.h. deren Geschlecht ihrer Nachkommen von der Inkubationstemperatur bestimmt wird). Dank umfangreicher Untersuchungen liegen für die Art eine Vielzahl von Daten zur Reproduktion vor. Unter Laborbedingungen entwickeln sich bei Inkubationstemperaturen unter 28 °C überwiegend Männchen, bei Temperaturen über 29,5 °C überwiegend Weibchen, das heißt nur in einem schmalen Bereich zwischen 28,0 und 29,5 °C ist ein ausgeglichenes Geschlechter-verhältnis der Schlüpflinge gewährleistet. Im Freiland würde dies bedeuten, dass es bei einem Temperaturanstieg während der sensiblen Phase der Inkubation (bei der Art für Brandenburg: 14. Mai bis 5. Juli), zu einer Reduzierung männlicher Phänotypen kommen könnte. Ander-erseits geht man davon aus, dass die Temperaturen selbst oberflächennah in den Nestern der Nordrand-Populationen in der Regel nicht für die Ausbildung von Weibchen ausreichen dürften und somit auch eine fakultative genetische Geschlechtsdetermination in den Brandenburger-Populationen existieren könnte. Auch ohne letztendlich zu wissen, ob eine temperaturabhängige Geschlechtsdetermination in den Brandenburger Populationen wirklich im Freiland existiert, so bleibt die Frage sehr spannend inwieweit Reptilien allgemein negative Einflüsse von Temperaturveränderungen (z.B. in Folge des Klimawandels) auf das Geschlechtsverhältnis ihrer Nachkommen kompensieren können. Theoretisch wären eine veränderte Mikrohabitatwahl des Gelegeplatzes (Ort oder Tiefe) ebenso wie mikroevolutive Anpassungen denkbar. Neueste Feldstudien an der Zierschildkröte (Chrysemys picta) weisen jedoch darauf hin, dass die Arten nicht mit der Geschwindigkeit der sich ändernden Klimabedingungen standhalten können.

 

Gefährdung & Schutz:

Die Bestände der Europäische Sumpfschildkröte haben in kürzester Zeit massiv abgenommen und sind hochgradig bedroht. So verwundert es nicht, dass die Art ausnahmslos in allen Roten Listen der Bundesländer als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft wird und in den Anhängen der FFH-Richtlinie gleich in zwei Anhängen (Anhang II und IV) vertreten ist. Ohne spezielle Schutzmaßnahmen, die in den letzten Jahren vor allem in Norddeutschland ergriffen wurden, wäre die Art vermutlich schon ausgestorben oder würde in absehbarer Zeit aussterben.

Waren es Ende des 19. Jahrhunderts vor allem die intensive Nutzung der Schildkröte als Fastenspeise sowie die Trocken-legung zahlreicher Feuchtgebiete, so ist die Art auch weiterhin durch Lebensraumverluste gefährdet. Teilweise existieren noch heute Vorkommen in Söllen inmitten intensiv genutzter Agrargebiete als Relikte einer früheren Bewirtschaftungsform. Speziell für diese Vorkommen ist es von essentieller Bedeutung Eiablageplätze in der weiteren Umgebung zu schaffen. Beispiele aus Nachbarländern (Frankreich, Polen) zeigen, dass Bestände der Europäischen Sumpfschildkröte von einer extensiv betriebenen Land- und Teichwirtschaft durchaus profitieren können, solange noch recht gute Populationen an Amphibien und Wassermollusken als Nahrung dienen. Als weitere Gefährdungsfaktoren sind der Straßenverkehr, der Einsatz von Fischreusen, die Prädation adulter Schildkröten und ihrer Gelege durch eingeschleppte Waschbären sowie ein Absammeln für den Tierhandel zu betrachten. Zudem ist die heimische Unterart (ähnlich wie die Unterart P. m. brogniardii bei der Mauereidechse) durch die Einschleppung importierter mediterraner Sumpfschildkröten und anschließenden Hybridisierungen bedroht. Seit langer Zeit bemüht sich die Naturschutzstation Rhinluch/Linum des Landesumweltamts Brandenburg um den Erhalt und die Stützung der autochthonen Restbestände der Pontischen Sumpfschildkröte und bittet um die Mitteilung von Beobachtungen sowie Lebend- und Totfunden:

Norbert Schneeweiß, Naturschutzstation Rhinluch (Amphibien/Reptilien/Fische)
Nauener Str. 68, 16833  Linum, Tel.: +49 33922/ 902 55, Fax: +49 33922/ 902 54
E-Mail: Norbert.Schneeweiss@LUGV.Brandenburg.de

Informationen zum Artenschutz-Projekt

 

Literatur:

Fritz, U. (1996): Zur innerartlichen Variabilität von Emys orbicularis (Linnaeus, 1758). 5b. Innerartliche Hierarchie und Zoogeographie (Reptilia: Testudines: Emydidae). – Zoologische  Abhandlungen Staatliches Museum für Tierkunde Dresden, 49(3): 31–71.

Fritz, U. (2001): Emys orbicularis (Linnaeus, 1758) – Europäische Sumpfschildkröte. – pp. 343-515 in Fritz, U. (Hrsg.): Handbuch der Reptilien und Amphibien Europas, Band 3/IIIA Schildkröten (Testudines) I (Bataguridae, Testudinidae, Emydidae). – Aula-Verlag, Wiebelsheim.

Fritz, U. (2003): Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis). – Supplement der Zeitschrift für Feldherpetologie, 1, Bielefeld, Laurenti-Verlag, 224 pp.

Fritz, U. & R. Günther (1996): Europäische Sumpfschildkröte – Emys orbicularis (Linneaeus, 1758). – pp. 518-534 in Günther, R. (Hrsg.): Die Amphibien und Reptilien Deutschlands. – Gustav Fischer Verlag, Jena, Stuttgart, Lübeck, Ulm.

Fritz, U., Joger, U., Podloucky, R. & J. Servan (eds., 1998; language ed. J. R. Buskirk): Proceedings of the EMYS Symposium Dresden 96. 4th to 6th October 1996 Staatliches Museum für Tierkunde Dresden. A Joint Symposium of the DGHT and SOPTOM. – Mertensiella, Nummer 10, 302pp.

Fritz, U., Guicking, D., Lenk, P., Joger, U., Wink, M., 2004. When turtle distribution tells European history: mtDNA haplotypes of Emys orbicularis reflect in Germany former division by the Iron Curtain. – Biologia, 59: 19–25.

Fritz, U. & Y. Chiari (2013): Conservation actions for European pond turtles – a summary of current efforts in distinct European countries. – Herpetology Notes, 6: 105.

Hemke, E. (1985): Zum früheren und gegenwärtigen Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte im Bezirk Neubrandenburg. – Zoologischer Rundbrief Bezirk Neubrandenburg, 4: 64-67.

Ihrke, K. (1978): Beobachtungen über das Vorkommen der Europäischen Sumpfschildkröte. – Naturkundliche Forschungen und Berichte aus dem Kreis Neustrelitz, 1: 45.

Lebboroni, M. & A. Cecchini (2005): Basking counts as abundance indices in pond populations of Emys orbicularis. – The Herpetological Journal, 15(2): 121-124.Lenk, P., Fritz, U., Joger, U. & M. Wink (1999): Mitochondrial phylogeography of the European pond turtle, Emys orbicularis (Linnaeus 1758). – Molecular Ecology, 8: 1911–1912.

Lenk, P., Hanka, S., Fritz, U. Joger, U. & M. Wink (1997): Die Europäische Sumpfschildkröte im Enkheimer Ried bei Frankfurt/M – Nachweis für Einbürgerung. – elaphe, N.F., 5(4): 70-75.

Mitrus, S., Najbar, B. & A. Kotowicz (2012): Frequency of successful reproduction and time of nest emergence of hatchlings of the European pond turtle in the northern part of its distribution area. – The Herpetological Journal, 22(4): 235-239.

Mitrus, S. & M. Zemanek (2003): European pond tortoise, Emys orbicularis, neonates overwintering in the nest. – The Herpetological Journal, 13(4): 195-198.

Paepke, H.-J. (1977): Zur gegenwärtigen Verbreitung der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis L.) in den brandenburgischen Bezirken Potsdam, Frankfurt/Oder, Cottbus und in Berlin (Reptilia, Emydidae). – Mitteilungen aus dem Zoologischen Museum in Berlin, 53: 173-185.

Palm, H.-G. (1974): Untersuchungen über Vorkommen und Lebensweise der Europäischen Sumpfschildkröte , Emys orbicularis (L.), in der Märkischen Schweiz. – Aquarien-Terrarien, Monatsschrift für Ornithologie und Vivarienkunde Ausgabe B, 21(12): 411-414.

Pellmann, H. & V. Lüderitz (2000): Nachweis der Europäischen Sumpfschildkröte Emys orbicularis (Linnaeus, 1758) an der Alten Elbe bei Magdeburg. – Museum für Naturkunde Magdeburg, Abhandlungen und Berichte, 23:  47-52.

Pieau, C. (1996): Temperature-dependent sex determination in Emys orbicularis: laboratory and field studies. – pp. 199-207 in Fritz, U., Joger, U., Podloucky, R. & J. Servan (Hrsg.; language ed. J. R. Buskirk): Proceedings of the Emys Symposium Dresden 96. 4th to 6th October 1996 Staatliches Museum für Tierkunde Dresden. A Joint Symposium of the DGHT and SOPTOM. – Mertensiella, Nummer 10.

Refsnider, M., Bodensteiner, B. L., Reneker, J. L. & F. J. Janzen (2013): Nest depth may not compensate for sex ratio skews caused by climate change in turtles. – Animal Conservation DOI: 10.1111/acv.12034

Rogner, M. (2009): Schildkrötenbibliothek. Europäische Sumpfschildkröte Emys orbicularis.  – Edition Chimaira, Frankfurt am Main, 271 pp. (mit 24 weiteren Beiträgen von 31 Autoren; Deutschland: N. Schneeweiss: 175-179).

Schneeweiß, N. (2003): Demographische und ökologische Situation der Arealrand-Populationen der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis Linnaeus, 1758) in Brandenburg. – Studien und Tagungsberichte Landesumweltamt Brandenburg, Band 46, 105 pp.

Schneeweiss, N. & U. Fritz (2000): Situation, Gefärdung und Schutz von Emys orbicularis (L.) in Deutschland. – Stapfia, 69, zugleich Kataloge des OÖ. Landesmuseums, Neue Folge, 149: 133-144.

Schneeweiss, N. & C. Hohoff (2008): Wanderratte (Rattus norvegicus) frisst juvenile Europäische Sumpfschildkröten (Emys orbicularis). – Zeitschrift für Feldherpetologie, 15(1): 23-28.

Schneeweiß, N. & M. Wolf (2009): Neozoen – eine neue Gefahr für die Reliktpopulationen der Europäischen Sumpfschildkröte in Nordostdeutschland. – Zeitschrift für Feldherpetologie, 16(2): 163-182.

Schneeweiss, N. & H. Breu (2013): Conservation activities for the European pond turtle (Emys orbicularis) in Germany. – Herpetology Notes, 6: 113-115.

Servan, J., Dorizzi, M., Pieau, C. & P. Zaborski (1989): Female biased sex ratio in adults of the turtle Emys orbicularis at the northern limit of its distribution in France: a probable consequence of interaction of temperature with genotypic sex determination. –  Canadian Journal of Zoology, 67: 1279–1284.

Wermuth, H. (1952): Die Europäische Sumpfschildkröte. – Die Neue Brehm-Bücherei, Heft 81,  Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft Geest & Portig K.-G. in Verbindung mit Wittenberg/Lutherstadt, A. Ziemsen Verlag, 40 pp.

Text: Ulrich Schulte

This page as PDF Download als PDF