Geburtshelferkröte
Artensteckbrief Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans)
Art:
Alytes obstetricans, Geburtshelferkröte
Unterart(en):
Alytes obstetricans obstetricans
Fauna-Flora Habitatrichtlinie:
FFH-Richtlinie (Anhang IV)
Rote Liste Status:
RL Deutschland (2009): gefährdet
RL BW (1999): stark gefährdet
RL BY (2003): vom Aussterben bedroht
RL HE (2010): stark gefährdet
RL HH (2004): ausgestorben
RL NI (1994): gefährdet
RL NW (2011): stark gefährdet
RL RP (1996): gefährdet
RL SH (2003): stark gefährdet
RL SL (2008): gefährdet
RL ST (2004): extrem selten
RL TH (2011): stark gefährdet
Beschreibung:
Die Geburtshelferkröte ist der einzige deutsche Vertreter der Gattung Alytes, die in ihrer Verbreitung auf West- und Mitteleuropa (mit einem kleinen Teilareal in Marokko) beschränkt ist. Ihr graubrauner Körper mit kleinen runden Warzen und undeutlichen schwarzen Flecken wirkt mit einer Gesamtlänge zwischen drei und maximal fünfeinhalb Zentimetern gedrungen. Der flache breite Kopf ist an der Schnauze zugespitzt und zeigt ein deutlich sichtbares Trommelfell, welches jedoch kleiner ist, als das Auge mit seiner goldfarbenden Iris und der senkrecht verlaufenden Pupille. Die gekörnte Bauchseite ist weißlich bis grau gefärbt, wobei die Extremitäten fleischfarben bis rötlich erscheinen. Die Kehlregion ist häufig dunkel gefleckt. Die Geschlechter sind nur sehr schwer zu unterscheiden (z.B. fehlen den Männchen Schallblasen). Kurz vor Abgabe der Eier sind jedoch die orangegelben Eier unter der Bauchdecke der Weibchen zu erkennen.
Gesamtverbreitung:
Die Geburtshelferkröte ist eine überwiegend west- und südwesteuropäische Art, die in Deutschland ihre nördliche und östliche Verbreitungsgrenze erreicht. Als atlanto-mediterrane Art kommt sie von Zentral-Portugal über Spanien, fast das komplette Frankreich, die nordwestliche Schweiz, das südliche Belgien, die Südniederlande und Luxemburg über Westdeutschland bis nach Thüringen vor. Auf den Britischen Inseln fehlt die Art ebenso wie in Italien und Österreich. Während die Einwanderung über das Saarland und Rheinland-Pfalz bis hin nach Thüringen über die Plateaus von Frankreich erfolgte, wurde der Südschwarzwald vermutlich über die Nordschweiz erreicht. Als typische Mittelgebirgsart ist sie in mittleren Höhen zwischen 200 und 1000 m ü. NN zu finden. Maximal dringt sie in den Pyrenäen bis auf 2400 m ü. NN vor.
Verbreitung national:
Die Art erreicht in Deutschland sowohl ihre nördliche als auch östliche Verbreitungsgrenze. Hier ist sie eine Charakterart der kollinen und montanen Höhenstufen sowie der Mittelgebirgsränder (mit nur wenigen Ausnahmen von Populationen im nordrhein-westfälischen Tiefland). Entsprechend dieser scharf abgrenzbaren Verbreitungsgrenze, die in dieser Ausprägung am ehesten noch beim Fadenmolch zu finden ist, ist die Art auf die Kontinentale Biogeografische Region beschränkt. Ihren Verbreitungsschwerpunkt besitzt die Art im Saarland und in Rheinland-Pfalz. Zudem hat die Art in dieser Region sowie auch im südlichen Baden-Württemberg Anschluss an ihr Gesamtareal. Ihre nördliche Verbreitungsgrenze erreicht die Art an den Mittelgebirgsrändern in Nordrhein-Westfalen, dem südlichen Niedersachsen (Weser- und Leinebergland, Harz), Sachsen-Anhalts und des westlichen Thüringens. Darüber hinaus ist sie im Südschwarzwald in Baden-Württemberg, in Nordhessen sowie im äußersten Nordwesten Bayerns verbreitet.
Hier finden Sie den Verbreitungsatlas für alle einheimischen Reptilien und Amphibien.
Lebensräume:
Primärlebensräume der Art wie unverbaute und stark besonnte Fluss- und Bachufer der Berg- und Hügelländer sind weitestgehend verschwunden. Heutzutage entstehen nur noch äußerst selten Primärlebensräume durch Hangrutschungen und Erdfälle. In ihrer Habitatausstattung ähneln Abgrabungen (Steinbrüche, Kies- und Sandgruben) und Industriebrachen, die durch Boden- und Rohstoffabbau entstehen noch am ehesten den natürlichen Lebensräumen der Art. Dementsprechend eng ist die Bindung der Geburtshelferkröte an diese anthropogen entstandenen Sekundärlebensräume der Kulturlandschaften. Von entscheidender Bedeutung ist eine räumliche Nähe von Reproduktionsgewässer und Landhabitat (meist weniger als 100 m), da die Art keine saisonalen Wanderungen ausführt und einen sehr kleinen Jahreslebensraum besitzt. Als Reproduktionsgewässer werden kleine und größere Wasseransammlungen genutzt, z.B. Feuerlöschteiche, Tümpel, Bäche oder Gebirgsseen. Fließgewässer und deren Nebengewässer dienen in montanen und kollinen Bereichen der Fortpflanzung. Landhabitate müssen vor allem strukturreich, offen und sonnenexponiert sein, schnell abtrocknende grabbare, Feuchtigkeit speichernde Böden mit hohem Steinanteil aufweisen und viele Versteckmöglichkeiten bieten. Als Tages- und Winterquartiere können Erdhöhlen, Steinhaufen, Bruchsteinmauern, Gesteinsplatten und Holzstapel dienen. Wie Beispiele aus der Eifel zeigen, profitiert die Art eindeutig von der Wiederansiedlung des Europäischen Bibers (Castor fiber Linnaeus, 1758). So werden die Biberteiche als Reproduktionsgewässer genutzt, während durch das Fällen von Bäumen an Hängen sonnige Primärhabitate für die adulten Geburtshelferkröten entstehen.
Wissenswertes:
Bekannt ist die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans) vor allem durch ihr Brutpflegeverhalten, wobei ein Männchen die Laichschnüre von einem oder mehreren Weibchen um die Fersengelenke gewickelt mit sich trägt. Früher dachte man, dass die Männchen aktive „Geburtshilfe“ betreiben und die Laichschnüre aus dem Weibchen ziehen, woher auch ihr deutscher Name stammt. Tatsächlich wird das Gelege jedoch übergeben. Das brutfürsorgende Männchen benötigt sonnige Hänge mit einem ausreichenden Lückensystem zur Entwicklung der Eier. Wenn die Larven mit dem Schlupf beginnen und sich in den Eiern ruckartig zu bewegen beginnen, begibt sich das Männchen in ein Reproduktionsgewässer in dem die Larven schlüpfen. Recht spät abgesetzte Larven überwintern regelmäßig im Gewässer mit einer Gesamtlänge von neun bis maximal elf Zentimetern.
Aufgrund ihrer versteckten Lebensweise und der Paarung an Land ist die Art schwieriger zu Gesicht zu bekommen als die meisten anderen einheimischen Amphibien. Dem Rechnung tragend erfolgt die Abschätzung der Populationsgröße nach dem offiziellen Bewertungsschema des Bundesamtes für Naturschutz durch abendliches Verhören rufender Tiere an fünf Begehungen von Ende April bis Ende Juli. Der Ruf erinnert an ein technisches Piepsen oder auch helles Glockengeläut („Glockenfrosch“).
Gefährdung & Schutz:
Bundesweit gilt die Art als „gefährdet“, deren Bestände seit einiger Zeit sehr stark rückläufig sind. So wird auch der Erhaltungszustand hinsichtlich des Verbreitungsgebietes, des Bestands und der Habitatausstattung im letzten Nationalen FFH-Bericht als „ungünstig – unzureichend“ bewertet. Auch werden die Zukunftsaussichten als „unzureichend“ bewertet. Allein in Rheinland-Pfalz, einem Bundesland in dem die Art, bezogen auf die Rasterfrequenz zwar relativ flächig vorkommt (TK25-Präsenz von 70,62%) sind bereits 38% der Vorkommen seit 1979 erloschen. An den Arealrändern, wie z.B. in Bayern sieht es ebenfalls dramatisch aus, hier ist die Art unmittelbar „vom Aussterben bedroht“. Ihre Aufnahme in den Anhang IV der FFH-Richtlinie weist die Geburtshelferkröte als streng geschützte, planerisch relevante Art aus, etwa bei der Folgenutzung von Abbaugebieten. Die Haupt-Rückgangsursachen sind:
- Fischeinsatz in Gewässer aller Art
- Verlust von Feuerlöschteichen, Flößteichen, Stauanlagen, Stauteichen & Mühlenweihern aufgrund von Nutzungswandel in Industrie, Gewerbe und Versorgung
- Sukzession der Landlebensräume
- Mechanisierung der Ackerwirtschaft und Rückgang extensiver Weiden
- Wegfall Wald öffnender Nutzungsweisen
- Industrieller und zentralisierter Boden- und Tiefenabbau
- Verfüllung von Gruben nach Beendigung des Abbaus
- Versiegelung von Flächen und Gewässern in Siedlungen
- Biozidbelastung von Gewässern
Zum effektiven Schutz der Geburtshelferkröte bedarf es spezieller aktiver bundesweiter Artenschutzmaßnahmen. Artenschutzprogramme bestehen seit einigen Jahren in Baden-Württemberg und Bayern. Da der bedeutendste Teil aller aktuellen Vorkommen in Abbaustellen zu finden ist, zählen zu den vorangingen Schutzmaßnahmen:
- Kooperationen zwischen Rohstoff gewinnender Industrie und Naturschutzverbänden und Naturschutzbehörden (Koexistenz von Abbau und Amphibien). Beispielhaft und ermutigend ist in diesem Kontext das Projekt der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie in Rheinland-Pfalz (GNOR e.V.) und der Basalt-Actien-Gesellschaft-Südwestdeutsche Hartsteinwerke (BAG)
Link zu dem Projekt: http://www.basalt-lebensraeume.de/projekte/kooperationsprojekt-baggnor-ev/
Weitere Schutzmaßnahmen sind die Neuanlage und Wiederherstellung geeigneter Laichgewässer und von Rohböden an Hängen, die Anlage von Steinriegeln, das Freistellen von beschatteten Hängen in unmittelbarer Umgebung der Laichgewässer, die Renaturierung von Bachabschnitten sowie ein Entfernen von Fischbesatz.
Literatur:
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Text: Ulrich Schulte unter Mitarbeit von Norman Wagner
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