Gefährdungsstatus der Europäischen Sumpfschildkröte

Betrachtet man das europäische Verbreitungsgebiet von Emys orbicularis, ist in vielen Ländern ein Rückgang zu verzeichnen. In der 2009 von der IUCN erstellten Roten Liste wird sie daher für Europa auf die Vorwarnliste gesetzt, für den durch die EU abgedeckten Bereich als „gefährdet“ eingestuft. Betrachtet man allerdings nur das mitteleuropäische Verbreitungsgebiet, zeichnet sich doch eine deutliche Gefährdung der Art ab. In den Roten Listen Deutschlands beziehungsweise der einzelnen Bundesländer, in denen die Art vorkommt, Einzelfunde auftauchen oder Wiederansiedlungsprojekte gestartet wurden, wird sie in den Kategorien „ausgestorben oder verschollen“ (0) oder „vom Aussterben bedroht“ (1) eingestuft.

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Entscheidend für Deutschland ist vor allem der Status der Populationen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Auf Grundlage der Kriterien Verbreitungsgebiet, Populationsgröße, Habitatqualität und Zukunftsaussichten wurde der Erhaltungszustand der Europäischen Sumpfschildkröte in Deutschland im Sinne der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie aktuell als „schlecht“ bewertet (nationaler Bericht 2013 an die EU). Das bedeutet, dass Deutschland beziehungsweise die betroffenen Bundesländer erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um diesen Zustand im Laufe der nächsten Jahre zu verbessern. Besonders in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union steht die Europäische Sumpfschildkröte unter einem strengen Schutz. Die Aufnahme in die Anhänge der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) weist diese Art als „Tierart von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“ (Anhang II), und als „streng zu schützende Art von gemeinschaftlichem Interesse“ (Anhang IV) aus. Auch im Rahmen der Berner Konvention des Europarates wird die Art als „streng geschützt“ im Anhang II aufgeführt. In Deutschland gehört die Europäische Sumpfschildkröte laut Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) zu den „besonders geschützten“, zusätzlich auch zu den „streng geschützten“ Arten. Letztlich bedeutet dieser strenge Schutz, dass Europäische Sumpfschildkröten in der Natur weder gefangen, getötet noch beunruhigt werden dürfen und dass ihre Fortpflanzungs- und Ruhestätten (zum Beispiel Winterquartiere) nicht absichtlich beschädigt oder zerstört werden dürfen. Diese Bestimmungen gelten selbstverständlich auch für die Gelege der Art (§ 44 BNatSchG). Und dies gilt auch für naturschutzrelevante Planungen und Eingriff e in den Naturhaushalt. In diesem Zusammenhang kann gar nicht oft genug wiederholt werden, dass der Gesetzgeber tatsächlich auch das einzelne Individuum meint! Ausnahmen dürfen nur dann erteilt werden, wenn nach sorgfältiger Prüfung (spezielle artenschutzrechtliche Prüfung = SAP) die ökologische Funktion der betroffenen Population im räumlichen Zusammenhang weiterhin sichergestellt werden kann. Spätestens mit ihrem Bekanntwerden in den 1990er-Jahren wurden die letzten Vorkommensgebiete einheimischer Europäischer Sumpfschildkröten in Nordostdeutschland in das Netz der Naturschutz – und NATURA-2000-Gebiete integriert.
Der Kenntnisstand zur Gefährdungssituation von Emys orbicularis in Deutschland ist gut. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die historischen Vorkommen – mit einigen wenigen Ausnahmen in Brandenburg – ausgerottet sind. Dank intensiver Schutzbemühungen konnte das Aussterben der Reliktvorkommen verhindert werden. Trotz dem befinden sich diese Populationen in einem kritischen Erhaltungszustand. Wiederansiedlungen der auf die ursprünglichen Populationen zurückgehenden (autochthonen) Europäischen Sumpfschildkröten im Umfeld der noch bestehenden Reliktvorkommen tragen derzeit, unter Einbeziehung historischer Lebensräume in Mecklenburg-Vorpommern, zur demografischen Stabilisierung der Vorkommen in Nordostdeutschland bei.

Fang und Handel

Haltung im Teich: Emys orbicularisgalt als beliebte Fastenspeise

Haltung im Teich: Emys orbicularis galt als beliebte Fastenspeise

Noch vor wenigen Jahrhunderten war die Europäische Sumpfschildkröte in Mitteleuropa weit verbreitet. Schon prähistorisch hat sie in einigen Regionen die Nahrungspalette der Menschen bereichert. Darüber hinaus dienten ihre Panzer als Gebrauchsgegenstände und fanden unter anderem als Schüsseln oder Kehrschaufeln Verwendung. Vor allem aus dem 17. und 18. Jahrhundert belegen zahlreiche Quellen, dass die Bestände sowohl im süddeutschen Raum als auch in Nordostdeutschland erheblich durch den Fang zu Speisezwecken dezimiert beziehungsweise sogar ausgerottet wurden. Heute unvorstellbar – da die katholische Kirche in der Fastenzeit den Verzehr von den im Wasser lebenden Schildkröten (die folglich „Fisch“ sind) erlaubte, gab es noch vor 300 Jahren in Preußen eine gewerbsmäßige Ausbeutung und einen schwunghaften Export der damals häufigen Europäischen Sumpfschildkröten als Fastenspeise! Im 19. Jahrhundert verlor sich ihre Nutzung zu Nahrungszwecken und wurde abgelöst von der Zurschaustellung der Tiere in Park- und Schlossteichen oder Menagerien. Auch gewann die Art in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend an Beliebtheit als Aquarien- und Terrarientier, sodass bald große Mengen von Europäischen Sumpfschildkröten importiert wurden, vor allem aus Italien.

Die Reusenfischerei ist eine potenzielle Gefahr für die Schildkröten; Foto: R. Podloucky

Die Reusenfischerei ist eine potenzielle Gefahr für die Schildkröten; Foto: R. Podloucky

In jener Zeit waren die einheimischen Bestände auch im Nordosten Deutschlands bereits auf geringe Individuenzahlen zusammengeschrumpft. In Norddeutschland wurden einheimische Sumpfschildkröten noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Konkurrenten der Fischer verfolgt. Bis in das ausklingende letzte Jahrhundert ertranken sie hin und wieder in Reusen. Inzwischen ist die Reusenfischerei in den von Europäischen Sumpfschildkröten besiedelten Gewässern strikt untersagt. Der Fang und Handel einheimischer Sumpfschildkröten ist bereits seit Jahrzehnten verboten. Trotzdem liegen auch aus jüngerer Vergangenheit mehrere Fälle illegaler Naturentnahmen sowie Vermarktungen heimischer Sumpfschildkröten vor. Auch dieser Gefährdungsfaktor ist demnach bis heute nicht zu vernachlässigen.

 

 

Habitatzerstörung

Gelegentlich als Eiablageplatz genutzte Fahrspuren führen meist zum Totalausfall; Foto: R. Podloucky

Gelegentlich als Eiablageplatz genutzte Fahrspuren führen meist zum Totalausfall; Foto: R. Podloucky

Neben Fang und Handel war über Jahrhunderte das Trockenlegen aquatischer Lebensräume eine der wesentlichen Ursachen des Rückgangs. Hierzu zählen die frühzeitigen menschlichen Aktivitäten in den Flussauen – zum Beispiel im Rheingebiet – und der spätere Ausbau und die Begradigung auch kleinerer Wasserläufe ebenso wie die großflächigen Entwässerungen der norddeutschen Niederungsmoore (sogenannte Luchgebiete) und unzähliger kleiner Stillgewässer. Noch aus jüngster Vergangenheit sind die Abwanderung der Schildkröten und damit der Zusammenbruch von Reliktpopulationen als Folge der Trockenlegung ihrer Wohngewässer im nördlichen Brandenburg bekannt. Schwerwiegend wirkte sich der Nutzungswandel im Zuge der Industrialisierung der Land- und Forstwirtschaft in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts aus. Historische Nutzungsformen wie die Waldhutung und die Beweidung der schwer zu bewirtschaftenden Endmoränenhügel oder nährstoffarmer Sander wurden aufgegeben. Nach und nach wichen die extensiv genutzten Wiesen und Trockenrasen und damit die Gelegeplätze den Forstkulturen und Ackerland. Das für die Lebensräume der Europäischen Sumpfschildkröte unverzichtbare Zusammenspiel geeigneter Wohngewässer und Gelegeplätze ging somit auch in der eiszeitlich stark gegliederten Landschaft Nordostdeutschlands vielerorts verloren. In Ermangelung geeigneter Habitate nutzten die Schildkrötenweibchen Ackerflächen und Waldwege zur Eiablage, Totalausfälle der Bruten waren die Folge. Oft mussten die Tiere größere Entfernungen zwischen Wohngewässer und Gelegeplatz zurücklegen. Dies ging einher mit erhöhten Verlusten wandernder Weibchen und Schlüpflinge.

Zerschneidung von Lebensräumen und Straßenverkehr

Hinweisschild zum Schutz der Tiere vor dem Überfahrenwerden bei der Querung von Straßen; Foto: Nationalpark Donau-Auen

Hinweisschild zum Schutz der Tiere vor dem Überfahrenwerden bei der Querung von Straßen; Foto: Nationalpark Donau-Auen

 

 

Wandernde Europäische Sumpfschildkröten werden häufig Opfer des Straßenverkehrs; Foto: Nationalpark Donau-Auen

Wandernde Europäische Sumpfschildkröten werden häufig Opfer des Straßenverkehrs; Foto: Nationalpark Donau-Auen

Der Ausbau des Straßennetzes, steigende Verkehrsdichten und die Erschließung der Wälder und Agrarflächen mit einem zunehmend ausgebauten Wegenetz können den Verbund der Teillebensräume von Sumpfschildkrötenvorkommen erheblich beeinträchtigen. Ein dichtes Verkehrsnetz, hohe Verkehrsdichten, Siedlungen und große Agrarmonokulturen haben zur Isolation und Dezimierung einheimischer Vorkommen beigetragen. Obwohl die noch heute von Europäischen Sumpfschildkröten besiedelten Regionen im Norden Brandenburgs deutschlandweit die am wenigsten durch Straßen zerschnitt einen Landschaftsräume darstellen, werden aufgrund zunehmender Verkehrsdichte häufiger Schildkröten auf ihren Wanderungen überfahren.

Prädatoren

Diese Europäische Sumpfschildkröte wurde von einem Waschbär getötet; Foto: N. Schneeweiß

Diese Europäische Sumpfschildkröte wurde von einem Waschbär getötet; Foto: N. Schneeweiß

Ein von Fressfeinden geplündertes Gelege; Foto: Nationalpark Donau-Auen

Ein von Fressfeinden geplündertes Gelege; Foto: Nationalpark Donau-Auen

Seit etwa 10–12 Jahren finden sich in den letzten Vorkommen heimischer Sumpfschildkröten zunehmend geplünderte Nester, verletzte Tiere und Überreste gefressener Sumpfschildkröten. Diese Beobachtungen sind nur zum geringen Teil den zahlenmäßig gewachsenen Populationen heimischer Prädatorenarten wie Wildschwein, Fuchs und Dachs zuzuschreiben. Der inzwischen als „Schildkrötenkiller“ bedeutendste Fressfeind einheimischer Sumpfschildkröten ist der Waschbär, der sich seit Ende der 1990er-Jahre auch in Norddeutschland mit zunehmender Häufigkeit ausbreitet. Aufgrund seiner ausgesprochenen Lernfähigkeit und optimierten Jagd- und Sammeltechnik im Flachwasser ist der Waschbär in der Lage, sich sehr schnell lokale Sumpfschildkrötenbestände aller Altersklassen als Nahrungsressource zu erschließen. Darüber hinaus findet er auch Gelegeplätze und plündert die Nester. Dieselbe Bedrohung geht von dem etwa zeitgleich eingewanderten Marderhund Ursprungsgebiet Ostasien) aus.

Klimawandel

Obwohl sich die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Reproduktion im östlichen Teil Deutschlands aufgrund prognostizierter Kontinentalisierung und somit höherer Sommertemperaturen und zunehmender Sonnenscheinstunden verbessern könnten, dürften sich Verlandungsprozesse in den aquatischen Lebensräumen infolge stärkerer Verdunstung und möglicherweise rückläufiger Niederschlagssummen beschleunigen und somit die Zahl geeigneter Gewässer zurückgehen.

Textautoren: Uwe Fritz, Norbert Schneeweiß & Richard Podloucky

Gefährdungsstatus in Österreich

In der Roten Liste Österreichs wird die Art als „vom Aussterben bedroht“ („critically endangered“) eingestuft; als Gefährdung wird die unkontrollierte Aussetzung gebietsfremder Tiere angeführt. Solche Aussetzungen könnten demnach eine schwer abschätz bare Auswirkung auf die bestehenden Populationen haben. In den Österreichischen Donau-Auen belaufen sich grobe Individuenschätzungen belaufen sich auf rund 1.500 adulte Tiere im Nationalparkgebiet, was einer mittleren Dichte von 40 Tieren pro Auenkilometer beziehungsweise rund zwei adulten Tieren pro Hektar Altarmfläche entspricht. Intensivere Untersuchungen der Gewässer mit Bestandsschwerpunkten ergaben zum Teil Dichten von 20 adulten Tieren pro 100 m Altarm. Bei den Populationsangaben darf jedoch der bereits erwähnte Anteil allochthoner Tiere nicht außer Acht gelassen werden!

Textautoren: Richard Gemel & Maria Schindler (Österreichische Gesellschaft für Herpetologie – ÖGH)

Gefährdungsstatus in der Schweiz

Auf den Roten Listen der gefährdeten Reptilien der Schweiz von 1982 beziehungsweise 1994 wird die Europäische Sumpfschildkröte als „ausgestorben“ taxiert, bis sich Ende der 1990er-Jahre Hinweise darauf verdichteten, dass möglicherweise noch autochthone Vorkommen an einigen Standorten in der Schweiz existieren. In der Roten Liste von 2005 wurde die Art folglich als „vom Aussterben bedroht“ („critically endangered“) eingestuft. Seit der Publikation der letzten Roten Liste hat sich aufgrund zahlreicher genetischer und ökologischer Studien der Wissensstand zur Europäischen Sumpfschildkröte deutlich verbessert und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Beobachtungen einzelner Schildkröten liegen aus den Tieflagen praktisch der ganzen Schweiz vor, gehen aber in aller Regel auf illegal ausgesetzte oder entwichene Tiere zurück. Eine rund 300 adulte Individuen umfassende und reproduzierende Population existiert aktuell nur in den Rhone-Auen im Kanton Genf auf einer Höhe von 350 m ü. NN. Dieser Bestand setz t sich allerdings aus ganz unterschiedlichen genetischen Linien zusammen, darunter auch Schildkröten mit dem potenziell autochthonen mitochondrialen Haplotyp IIa, und geht mindestens teilweise auf Aussetzungen auch südeuropäischer Schildkröten bereits in den 1960er-Jahren zurück. Regelmäßig wird die Art zudem am Neuenburgersee, am Genfersee und an verschiedenen kleineren Seen und Weiherkomplexen im Deutschschweizer Tiefland nachgewiesen. Auch hier haben genetische Studien gezeigt, dass es sich dabei sehr häufig um allochthone (nicht natürlicherweise vorkommende, sondern ausgesetzte oder eingeschleppte) genetische Linien handelt, vereinzelt aber auch die potenziell autochthone Linie vorhanden ist. Im Tessin, dessen Sumpfschildkröten zu E. o. hellenica gehören müssten, findet die Art praktisch nur noch im Mündungsbereich des Flusses Ticino in den Lago Maggiore ausreichend geeigneten Lebensraum und dürfte dort von den projektierten und bereits umgesetzten Renaturierungsmaßnahmen profitieren.

Textautoren: Andreas Meyer & Sylvain Ursenbacher (Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz – karch)

Textquelle: Aktionsbroschüre zum Reptil des Jahres 2015 (hier als pdf herunterladen)

 

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