Lebensräume und Verbreitung der Würfelnatter
Lebensräume
Grundsätzlich ist die Würfelnatter bei der Wahl ihrer Lebensräume auf die Nähe von Gewässern angewiesen. In Deutschland liegen alle bekannten Vorkommen in klimatisch besonders begünstigten Abschnitten von Fließgewässern. In der Schweiz werden zusätzlich Seeufer sowie Flussdeltas und die sie begleitenden Auen bewohnt. Auch in Österreich werden neben Fließgewässern gebietsweise (Kärnten) Uferbereiche großer Seen genutzt. Ein optimaler Würfelnatterlebensraum liegt in einem offenen, sonnenexponierten Uferabschnitt mit hoher Strukturvielfalt. Die Ufer mit ihrer naturnahen, lückigen Vegetation gehen oft in sonnenexponierte Hangflächen wie Felsen, Trockenrasen, Dämme, Trockenmauern, Brachen u. ä. über. Diese geneigten Habitatabschnitte sind ideale Winterquartiere und Sonnenplätze, da sie eine direkte Sonneneinstrahlung erfahren und sich schnell erwärmen. Die hohe Wärmegunst wirkt sich positiv aus auf die Verdauung, den Stoffwechsel und die Embryonalentwicklung. Als Winterquartiere und Tagesverstecke werden gern ufernahe, verzweigte Fugen- und Spaltensysteme aufgesucht. Eine abwechslungsreiche Uferstruktur bietet auch idealen Schutz vor Räubern, während der Paarung und für die Entwicklung abgelegter Eier. Als Eiablageplätze werden in Deutschland bevorzugt gewässernahe Humus-, Treibgut- und Sandanschwemmungen sowie Steinschüttungen genutzt.
In Deutschland und in den meisten Regionen Österreichs bevorzugt die Würfelnatter Fließgewässer, die Zonen mit unterschiedlichen Wassertiefen und Strömungsgeschwindigkeiten aufweisen. Dort verlaufen die flach auslaufenden Uferzonen buchtenreich und bilden einen kiesig-steinigen Spülsaum aus. Je nach Wasserstand fallen Kies-, Sand- und Schotterbänke frei. Die Flusshabitate im Süden der Schweiz und Österreichs zählen zu den Auenlandschaften des Hügel- und Berglandes und stellenweise der Ebene (Niederösterreich, Wien, Burgenland) und beinhalten natürliche, steile Uferabschnitte. Geröll und Felsbrocken reichen dort meist bis unter die Wasserlinie. Auch vom Menschen gebaute Uferbefestigungen werden angenommen. So finden sich reich strukturierte Ufer u. a. im Unterwasserbereich von Wehren oder sogar mitten im Siedlungsbereich. Die Flachwasserbereiche und die steinigen Uferpartien unterhalb der Wasseroberfläche sind besonders fischreich, da sie als Fischlaichzonen dienen und einen hohen Anteil an Jungfischbrut beherbergen. Spalten zwischen Steinen und Felsbrocken unter Wasser locken auch adulte Fische an, die dann umso einfacher von den tauchenden Würfelnattern gefangen werden können.
Die Verwandtschaft der Wassernattern in Europa
Innerhalb der Familie der Nattern (Colubridae) gehört die Würfelnatter zur Gattung Natrix, den Europäischen Wassernattern. Drei Arten dieser Gattung kommen in Mitteleuropa vor, neben der Würfelnatter auch die Vipernatter (Natrix maura) und die Ringelnatter (Natrix natrix). Während die Ringelnatter mit ihren verschiedenen Unterarten in Europa weit verbreitet ist und in allen Lebensräumen der Würfelnatter gemeinsam mit dieser vorkommt, schließen sich die Vorkommen der Würfelnatter und der Vipernatter bis auf ein beschränktes, natürliches Überlappungsgebiet in Nordwestitalien aus. Die Vipernatter lebt schwerpunktmäßig in West- und Südwesteuropa (Frankreich und Iberische Halbinsel), während die Würfelnatter die Gebiete östlich davon besiedelt: von Deutschland Richtung Süden bis Italien, über den Balkan bis in die östlichen Mittelmeerländer einschließlich Oberägypten, im Süden ostwärts über Jordanien bis nach Pakistan und im Norden über Russland bis Westchina. Im Laufe der Zeit wurden mehr als 30 verschiedene wissenschaftliche Namen für die Würfelnatter vergeben, von denen aber heute nur Natrix tessellata (Laurenti 1768) gebräuchlich ist. Der wissenschaftliche Artname tessellata weist auf die charakteristische Rückenzeichnung der Würfelnatter hin. „Tessellata“ ist lateinischen Ursprungs und bedeutet „mit Vierecken oder Würfeln versehen“. Trotz ihres großen Verbreitungsgebietes wurde von der Würfelnatter bislang nur eine Unterart beschrieben, nämlich Natrix tessellata heinrothi, die auf einer ukrainischen Insel im Schwarzen Meer lebt. Besonders aufgrund mittlerweile vorliegender genetischer Studien ist diese Unterarteinteilung jedoch wissenschaftlich umstritten und muss überarbeitet werden.
Verbreitung in Deutschland, Schweiz und Österreich – historisch und aktuell
Die deutschen Populationen leben nördlich des geschlossenen Verbreitungsgebietes im südlichen und südöstlichen Europa. Historisch besiedelte die Art das Mittelrhein-Gebiet einschließlich einiger Nebenflüsse. Entlang dem Rhein ist die Art bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestorben. An der Lahn existierten mehrere Populationen entlang dem Unterlauf, welche gegenwärtig auf eine einzige noch verbliebene Population geschrumpft sind. Auch im Moseltal war die Art in der Vergangenheit über den Mittel- und Unterlauf weit verbreitet. Bis heute hat nur ein kleiner Bestand am Unterlauf überdauert. Besonders gut sind die historischen Vorkommen an der Nahe dokumentiert: Hier kam die Würfelnatter vom Mittellauf bis zur Rheinmündung sowie in einigen Seitenbächen vor. Die Lebensraumverluste waren an diesem Fluss geringer, so dass gegenwärtig noch weite Teile des Mittellaufes besiedelt werden. Aktuell bestehen also noch drei isolierte Reliktpopulationen an den Flüssen Mosel, Lahn und Nahe, alle in Rheinland-Pfalz. Dabei besiedelt die Schlange an Mosel und Lahn jeweils Uferabschnitte von 1–2 km Länge. An der Nahe erstreckt sich das bekannte Vorkommen über ca. 20 km Flusslauf und stellt damit den momentan flächenmäßig größten und auch individuenstärksten deutschen Bestand dar. Ein ehemals an der Elbe bei Meißen existierendes Vorkommen ist spätestens seit 1950 ausgestorben. Hier wurde im Jahr 1999 ein Wiederansiedlungsversuch gestartet. Ein intensives Monitoring schloss sich an, und erste Nachkommen wurden 2001 beobachtet. Durch das Jahrhunderthochwasser an der Elbe im August 2002 erlitt die dortige Population einen Einbruch. Dennoch werden auch aktuell noch Würfelnattern im Gebiet beobachtet und frisch geschlüpfte Jungtiere wurden bei Erfolgskontrollen in den Jahren 2003 und 2005 ebenfalls gesichtet. Allerdings wird der Fortbestand der Würfelnatter bei Meißen vom weiteren Vorgehen vor Ort abhängen. Verschiedene Theorien versuchen dieses eigenartige Verbreitungsmuster zu erklären. Experten gehen momentan davon aus, dass in einer Periode vor ca. 5000–8500 Jahren, als die durchschnittlichen Jahrestemperaturen 1–2 °C höher lagen als heute, weite Teile Mitteleuropas von der Würfelnatter besiedelt wurden. Hierfür gibt es mehrere Hinweise durch fossile Tiere. Mit der darauf folgenden Abkühlung in den letzten 5000 Jahren konnten die Würfelnattern nur an wenigen, besonders wärmebegünstigten Standorten überdauern, die in etwa den heute noch genutzten Fließgewässerabschnitten entsprechen.
Auch in der Schweiz ist die Würfelnatter generell selten und gilt lokal als vom Aussterben bedroht. Die Art besiedelt natürlicherweise nur den Kanton Tessin und die Südtäler Misox und Puschlav im Kanton Graubünden. In günstigen Habitaten steigt sie bis auf eine Höhe von ca. 800 m. ü. NN auf, ein einzelner Fund aus dem Bleniotal auf 880 m ü. NN markiert den bisher höchst gelegenen Fundort in Mitteleuropa. Mit über 2000 m ü. NN bilden der Gotthardpass sowie das restliche Alpenmassiv eine natürliche Ausbreitungsgrenze für die Würfelnatter in Richtung Norden. Es gibt aber vier individuenstarke Populationen in der Schweiz nördlich der Alpen, und zwar am Alpnacher-, Brienzer-, Genfer- und Zürichsee, die auf Aussetzungen von Würfelnattern direkt und indirekt aus der Südschweiz zurückgehen. Die Aussetzung bzw. Ansiedlung gebietsfremder Arten gilt aus heutiger ökologischer und naturschutzfachlicher Sicht als sehr problematisch. Im Fall der Würfelnatter am Brienzer- und Alpnachersee sind zwar bisher keine negativen Auswirkungen auf andere Arten bekannt, Probleme zeigen sich jedoch am Genfersee (vergleiche Kasten).
In Österreich existieren autochthone Vorkommen der Würfelnatter in den Bundesländern Oberösterreich, Niederösterreich, Wien, Burgenland, Steiermark und Kärnten. Nachweise aus den restlichen Bundesländern sind stets auf Verwechslungen bzw. Aussetzungen zurückzuführen. Als Verbreitungsschwerpunkte gelten Flusslandschaften in klimatisch begünstigten Gebieten Ost- und Südösterreichs. Nach aktuellem Wissensstand existieren die westlichsten Vorkommen im Linzer Becken (Oberösterreich). In Niederösterreich bestehen große Populationen an den Flüssen Kamp und Schwechat sowie stellenweise an der Donau. Des Weiteren besiedelt die Art lokal Flussabschnitte an der Thaya im Bereich des Nationalparks Thayatal, die March an der österreichisch-slowakischen Grenze und die Leitha im niederösterreichisch-burgenländischen Grenzverlauf. Gesicherte Nachweise sind u. a. von Pielach, Ysper, Krems, Weidlingbach und Wienfluss bekannt. Das Vorkommen an letztgenanntem Gewässer erstreckt sich bis auf das Wiener Stadtgebiet. Dort ist die Würfelnatter auch in den Auengewässern des Praters zu finden. In der Steiermark lebt diese Art an der Mur, Raab, Kainach und Sulm sowie in Kärnten schwerpunktmäßig an der Drau, Gail, Wörther See, Keutschacher See und Ossiacher See. Die Höhenverbreitung erstreckt sich im Normalfall bis ca. 500 m ü. NN, in Kärnten werden ausnahmsweise auch Höhenlagen von bis zu 800 m ü. NN besiedelt.
Konkurrenz zwischen Würfelnatter und Vipernatter am Genfersee?
Ein Beitrag von: Sylvain Ursenbacher
Die Würfelnatter (Natrix tessellata) wurde vor ungefähr 80 Jahren in der Nähe von Lausanne am nördlichen Ufer des Genfer Sees eingeführt (erste Erwähnung durch Morton, W. 1925: Une nouvelle couleuvre pour la faune vaudoise. – Bulletin de la Société vaudoise des Sciences Naturelles 56). Danach folgten noch mehrere Aussetzungen (J. Garzoni & S. Monbaron, pers. Mitt.), wobei die meisten Tiere aus dem Kanton Tessin und dem angrenzenden Italien stammen dürften. Die Würfelnattern breiteten sich entlang dem Seeufer bereits 20 km nach Südosten bis Villeneuve und Les Grangettes (Rhonemündung) und 12 km nach Westen bis nach Lausanne aus. Im selben Uferbereich lebt die heimische Vipernatter (Natrix maura), eine nahverwandte Wassernatter, die in der Schweizer Roten Liste ebenfalls als kritisch gefährdete Art eingestuft ist. Beide Wassernattern besetzen dieselbe ökologische Nische, d. h., sie bevorzugen als Nahrung die gleichen Fische und nutzen das gleiche Habitat einschließlich der Versteck- und Sonnenplätze sowie vermutlich auch dieselben geschützten Orte für die Eiablage und Überwinterung. Ihre Aktivitätsperioden sind, soweit bekannt, ebenfalls ähnlich. Ein Monitoring von 1999–2008 zeigte einen starken Rückgang der Vipernatter. Die Fruchtbarkeit und reproduktive Häufigkeit waren bei der eingeführten Würfelnatter deutlich höher (höhere Anzahl und proportionaler Anteil trächtiger Weibchen sowie größere Gelege) als bei der Vipernatter, während die Überlebensfähigkeit beider Arten vergleichbar ist. Es wird vermutet, dass die steigende Populationsgröße der Würfelnatter sich negativ auf das Überleben der Vipernatter auswirkt, da diese weniger konkurrenzfähig ist. Eine mehrjährige Untersuchung zur vermeintlichen Konkurrenzsituation begann im Jahr 2007. Ziel dieser Studie ist auch die Erhaltung und Unterstützung der in der Schweiz vom Aussterben bedrohten einheimischen Vipernatter.
Textquelle: Aktionsbroschüre 2009: Die Würfelnatter (download)
Download als PDF
Warning: call_user_func() expects parameter 1 to be a valid callback, function 'mytheme_comment' not found or invalid function name in /www/htdocs/w0155213/feldherpetologie.de/wp-includes/class-walker-comment.php on line 179
Warning: call_user_func() expects parameter 1 to be a valid callback, function 'mytheme_comment' not found or invalid function name in /www/htdocs/w0155213/feldherpetologie.de/wp-includes/class-walker-comment.php on line 179