Lebensräume – natürlich oder von Menschenhand

Feb 6, 2011 by     Posted under: Reptil des Jahres 2011: Die Mauereidechse
Abbruchkanten sind gute Mauereidechsenbiotope

Böschungen und Abbruchkanten sind gute Mauereidechsenbiotope; Foto: R. Podloucky

Im Gegensatz zum südlichen Verbreitungsgebiet ist die Mauereidechse an ihrer nördlichen Arealgrenze in der Regel auf trockenwarme, steinige, vegetationsarme und südexponierte Standorte beschränkt. Besonnte Offenlandflächen, die durch Erosion, Überschwemmungen, Windwürfe oder Brände entstanden sind, können bei uns als Primärhabitate (natürliche Lebensräume) aufgefasst werden. Diese sind heutzutage z. B. noch in Form von steil zum Rhein- und seinen Nebentälern abfallenden, sonnenexponierten, trockenwarmen Felsformationen, Abbruchkanten und Geröllhalden zu finden. Im Südschwarzwald repräsentieren lichte Steppenheidewälder sowie Eichenhangwälder den ursprünglichen Lebensraum der Art in Deutschland. In dieser Region entfällt noch etwa die Hälfte aller Funde auf Primärhabitate. An Rhein und Mosel wurde die Mauereidechse in ihrer Verbreitung maßgeblich durch den Terrassenweinbau mit seinen Trockenmauern (vom Mittelalter bis ins frühe 12. Jh.) gefördert. Förderlich für die Ausbreitung dieser Art war außerdem die Entwaldung weiter Regionen im ausgehenden Mittelalter, mit einem Höhepunkt um 1750. Bestandsreduzierende Auswirkungen dürften hingegen wasserbauliche Maßnahmen gehabt haben. Während dadurch zahlreiche Kiesbänke und Abbruchkanten als primäre Lebensräume verloren gingen, entstanden mit dem Bau des Eisenbahnnetzes sowie der Anlage von Uferpflasterungen und Weinbergmauern wiederum wichtige künstliche Ausbreitungskorridore.

Unverfugte Trockenmauern sind wichtige Sekundärlebensräume

Unverfugte Trockenmauern sind wichtige Sekundärlebensräume; Foto: A. Meyer

Heutzutage werden von Mauereidechsen überwiegend durch den Menschen entstandene Sekundärlebensräume besiedelt. Eine Auswertung von fast 3.000 Nachweisen in Rheinland-Pfalz und etwa 450 Nachweisen in Baden-Württemberg zeigt, dass zu 78,6 % Ruderalflächen bevorzugt werden. Der mit Abstand bedeutendste Lebensraum der Art in Deutschland ist das unverfugte Mauerwerkder Weinberge an Rhein, Mosel, Nahe, Ahr und Lahn. Die Mauereidechse ist eine typische Charakterart der Weinanbaugebiete. Die wertvollen, in klimatisch günstiger Hanglage gelegenen Trockenbiotope aus Bruchstein besitzen ihr eigenes Mikroklima, mit hohen Temperaturen am Tag und bei Nacht (Wärmespeicherung), sodass sie einer Vielzahl xerothermer (Trockenheit und Wärme liebende) Pflanzen und Tiere einen Lebensraum bieten. Nicht sanierte Burg- und Häuserruinen, Festungsmauern, Friedhöfe, Hauswände, Garten- und Parkanlagen, Trümmergrundstücke und Brachflächen werden mit ihrem spaltenreichen Gemäuer ebenfalls häufig in hohen Populationsdichten besiedelt. Sehr bedeutsame Lebensräume sind zudem Gleisschotterflächen an Bahndämmen und in Bahnhofsbereichen, auch vor dem Hintergrund der Ausbreitung dieser Art. Weitestgehend natürliche Habitate findet die Mauereidechse in stillgelegten Steinbrüchen und Abraumflächen mit beginnender Sukzession, die noch nicht zu einer größeren Beschattung wichtiger Sonnen- und Eiablageplätze geführt hat.

Auch von Menschen geschaffene Strukturen bieten Lebensraum

Auch von Menschen geschaffene Strukturen bieten Lebensraum; Foto: B. Trapp

Weitere typische Sekundärlebensräume der Art sind wärmebegünstigte Uferpflasterungen und Dämme zahlreicher Flüsse, Häfen und Stauseen in Südwestdeutschland. An ihrer nördlichen Verbreitungsgrenze sind Mauereidechsenbiotope vorwiegend süd-, südwest- und südostexponiert und häufig in Hanglagen zu finden. Ein limitierender Faktor für die Besiedlung eines Lebensraumes ist die Anzahl an Verstecken in tiefen Mauerfugen und Felsspalten (für eine erfolgreiche Überwinterung). Lebensnotwendig sind zudem sowohl vegetationslose Bereiche zum Sonnen (Thermoregulation) und zur Eiablage als auch vegetationsreiche Abschnitte, die zahlreiche Insekten als Futter anlocken. Ein Deckungsgrad von 10–40 % Vegetation fördert eine hohe Individuendichte.

 

Mauereidechsen-Lebensräume in Österreich und in der Schweiz

Die Mauereidechse ist in Österreich nicht im selben Ausmaß wie in Deutschland an anthropogene Strukturen gebunden. So lebt sie, wenn auch in sehr geringen Dichten, verbreitet in den lichten Schwarzkiefernwäldern des niederösterreichischen Alpenostrandes, was durch plötzlich auftretende Populationen hoher Dichte auf Kahlschlägen und Hanganschnitten, die im Zuge von Verbreiterungen von Forststraßen entstanden sind, demonstriert wird. Charakteristische Lebensräume in Kärnten sind die Schotterbänke der aus dem Gebirge austretenden Bäche. Ganz allgemein besiedelt die Mauereidechse in Österreich eine Vielzahl trockener und halbtrockener Habitate. Umso erstaunlicher ist ihre Einstufung als „endangered“ (stark gefährdet) in der österreichischen Roten Liste (Gollma nn 2007), die Populationen der Nordalpen werden sogar als „critically endangered“ (vom Aussterben bedroht) eingestuft. Es fällt schwer, außer im lokalen Rahmen, irgendein Gefährdungspotenzial für diese Art zu erkennen.

Natürlicher Lebensraum in der Schweiz

Natürlicher Lebensraum in der Schweiz; Foto: A. Meyer

Auch in der Schweiz erschließt sich die Mauereidechse neue Lebensräume entlang von Bahnlinien, Straßen und Flussläufen und verdrängt mindestens stellenweise offenbar die ortsansässige Zauneidechse – dies wird mittelfristig Konsequenzen für den Schutz der Zauneidechse haben. Geeignete Klimaverhältnisse und ausreichendes Nahrungsangebot vorausgesetzt, ist die Mauereidechse wenig anspruchsvoll, was ihre Lebensräume in der Schweiz betrifft. Selbst stark vom Menschen geprägte Habitate werden besiedelt, und mit Ausnahme von St. Gallen findet sich die Mauereidechse als ausgeprägte Kulturfolgerin heute ausnahmslos in allen größeren Schweizer  Städten, wo vor allem Gleisanlagen, Industriebrachen, aber auch das unverfugte Mauerwerk von  historischen Gebäuden beliebt sind. Trockenmauern, Lesesteinhaufen und Lesesteinwälle werden auch im Kulturland besiedelt, besonders in wärmebegünstigten Weinbergen, wo die Mauereidechse sehr hohe Individuendichten erreichen kann. Natürlicherweise lebt die Mauereidechse gerne an xerothermen Standorten, wie südexponierten Felsfluren oder Blockhalden, während in den wärmsten Gebieten der Schweiz auch Waldränder und Böschungen aller Art besiedelt werden, die keinerlei steinige Strukturen aufweisen. Die Mauereidechse gilt in der Schweiz als nicht gefährdet, wird aber wie alle anderen Reptilienarten durch das Natur- und Heimatschutzgesetz von 1967 vollständig geschützt.

Textquelle: Aktionsbroschüre 2011: Die Mauereidechse (download)

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