Aussetzung oder Wiederansiedlung?!

Heute existieren Reliktpopulationen der Europäischen Sumpfschildkröte in Deutschland nur noch im nördlichen Teil Brandenburgs. Aktuelle Verbreitungskarten der Art in Deutschland werden bestimmt von den Nachweisen ausgesetzter Emys orbicularis verschiedener Herkunftsregionen (mehr dazu). Die Vermischung mit ausgesetzten Sumpfschildkröten anderer Herkunftsgebiete stellt für die einheimischen Reliktvorkommen eine latente Gefahr dar und war bisher nur dank ihrer abgelegenen und schwer zugänglichen Lebensräume nahezu bedeutungslos. Krankheiten, die eingeschleppt werden könnten, sind in diesem Zusammenhang als Gefährdungsfaktor ebenso anzuführen wie der in den Folgegenerationen möglicherweise auftretende Verlustspezifischer Anpassungen an die Umweltbedingungen am nordwestlichen Arealrand. Neben den nicht heimischen Emys orbicularis finden sich zunehmend auch Vertreter weiterer aquatischer Schildkrötenarten (vor allem nordamerikanische Schmuckschildkröten) in Deutschland. Arten, die klimatisch vergleichbare Regionen besiedeln, wie die Zierschildkröte (Chrysemys picta), können durchaus in unseren Breiten überdauern und dann unter Umständen mit der heimischen Emys orbicularis um die Ressourcen (zum Beispiel Nahrung, Sonnenplätze) konkurrieren. Ganz klar ist hier zu sagen, dass Aussetzungen nicht heimischer oder gebietsfremder Arten beziehungsweise Individuen nach geltendem Naturschutz recht verboten sind (siehe unten) und es sich hierbei um Faunenverfälschungen handelt. Auch aus Tierschutz gründen sind derartige Aussetzungen strikt abzulehnen. Die betroffenen Schildkröten können unter den hiesigen Bedingungen nicht längerfristig überleben und unterliegen oft einem qualvollen Tod.

Drei Pilotprojekte zur Wiederansiedlung der Europäischen Sumpfschildkröte mit ausgewilderten Jungtieren werden derzeit in der Schweiz umgesetzt; Foto: A. Kwet

Drei Pilotprojekte zur Wiederansiedlung der Europäischen Sumpfschildkröte mit ausgewilderten Jungtieren werden derzeit in der Schweiz umgesetzt; Foto: A. Kwet

Schon lange sind die historischen Vorkommen Europäischer Sumpfschildkröten in Deutschland mit wenigen Ausnahmen erloschen. Freilandstudien zeigten in den 1990er-Jahren für die Brandenburger Reliktpopulationen einen kritischen Zustand. Zur Rettung der überalterten und individuenarmen Populationen war ihre Stützung mit künstlich erbrüteten Gelegen unverzichtbar. Inzwischen stehen für Bestandsstützungen und Wiederansiedlungsvorhaben in Nordostdeutschland Nachkommen einer Erhaltungszucht, basierend ausschließlich auf einheimischen Sumpfschildkröten, zur Verfügung. Außerdem erfolgen in Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen derzeit Ansiedlungsversuche mit Fund- und Zuchttieren, die genetisch den ursprünglich heimischen Schildkröten möglichst ähnlich sein sollen.
Leider werden zunehmend viel zu unkritisch und geradezu leichtfertig von Einzelpersonen oder auch in Trägerschaft von Vereinen Initiativen zur vermeintlichen „Wiederansiedlung“ von Europäischen Sumpfschildkröten gestartet. Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass die dabei zugrunde liegenden Zuchten in Ermangelung heimischer Tiere auf allochthonen (gebietsfremden) Individuen basieren. Das bei der Auswahl der Zuchttiere zugrunde gelegte genetische Merkmal beschränkt sich in der Regel einzig auf den mitochondrialen Haplotyp (Cytochrom-b-Gen), ein genetisches Merkmal, das nur in weiblicher Linie vererbt wird und nichts zur väterlichen Abstammung aussagt. Für die Zuchten genutzt oder angestrebt werden meist Tiere des Haplotyps IIa, der eine weite geographische Verbreitung von Mittelfrankreich
bis zur Donau-Mündung hat. Selbst unter der Voraussetzung, dass die Zuchttiere ausschließlich aus dem relativ großen Verbreitungsgebiet dieses Haplotyps stammen, existieren ihre nächsten natürlichen und stabilen Populationen erst in Ungarn, Kroatien und Slowenien oder in Mittelfrankreich! Grundsätzlich ist nach dem gültigen Naturschutz recht für das Aussetzen von Tieren, so auch bei Wiederansiedlungen von Europäischen Sumpfschildkröten, eine Genehmigung der zuständigen Naturschutzbehörde erforderlich. Diese Genehmigung ist zu versagen, wenn eine Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten nicht ausgeschlossen werden kann. Die Aussetz ung gebietsfremder Emys orbicularis oder nicht heimischer Schmuckschildkröten aus Nordamerika ist grundsätz lich verboten. Grundlage jeglicher Wiederansiedlungsvorhaben sollte die 1998 von der IUCN erlassene Richtlinie für Wiederansiedlungen sein. Wesentliche Voraussetzung sind dabei die Kenntnis und Beseitigung der für das Aussterben verantwortlichen Faktoren. Ein Ansiedlungsgebiet muss in jedem Fall geeignete Habitatbedingungen aufweisen.

Wichtige Kriterien sind:

  • Verbund mehrerer aquatischer und terrestrischer Lebensräume in ausreichender Anzahl und Größe innerhalb eines größeren unzerschnitt enen und naturnahen Landschaftsraumes, der auch frei von Verkehrswegeplanungen ist
  • Langfristig geeignete Habitatbedingungen (geeignete Wohngewässer, in ausreichender Zahl trocken-warme, als Gelegeplätz e geeignete Landlebensräume im Umfeld der Wohngewässer, naturnahe Landschaft und extensive Landnutz ung innerhalb und im weiteren Umfeld des Ansiedlungsgebietes)
  • Potenzielle Ausbreitungsmöglichkeiten
  • Relativ geringe Prädatorendichten sowie Möglichkeiten des Prädatorenmanagements
  • Keine Reusenfischerei und sonstige fischereiliche Nutzung.

Wie bereits aus dem Namen hervorgeht, sollten sich Wiederansiedlungen auf historische Vorkommensgebiete konzentrieren, grundsätzlich innerhalb großräumiger und langfristig gesicherter Schutz gebiete erfolgen und zusätz lich die Möglichkeit der Vernetzung mehrerer miteinander in Kontakt stehender Populationen bieten. Entsprechende Projekte sind wissenschaftlich zu betreuen und mit einem langfristigen Monitoring zu begleiten.

Textautoren: Uwe Fritz, Norbert Schneeweiß & Richard Podloucky

Aktuelle Pilotprojekte in der Schweiz

Wiederansiedlungsgebiet „Hölle von Rockenberg“ in der Wetterau, Hessen; Foto: D. Schmidt

Wiederansiedlungsgebiet „Hölle von Rockenberg“ in der Wetterau, Hessen; Foto: D. Schmidt

Die Europäische Sumpfschildkröte wird wie alle anderen Amphibien- und Reptilienarten auch durch das Schweizer Natur- und Heimatschutzgesetz von 1967 vollständig geschützt. Solange unklar ist, zu welcher genetischen Linie ein Tier gehört, gilt das für alle im Freiland angetroffenen Emys orbicularis. Bisher wurden in der Schweiz keine systematischen Maßnahmen ergriffen, um allochthone, genetisch unpassende Schildkröten aus der Natur zu entfernen. Je nach Standort werden aber zufälligerweise aufgefundene Sumpfschildkröten solange in Gefangenschaft gehalten, bis eine DNA-Analyse Klarheit verschafft. Für allochthone Tiere wird dann ein definitiver Platz in Terrarienhaltung gesucht, während potenziell autochthone Schildkröten in eines der drei laufenden Wiederansiedlungsprojekte integriert werden. Im Gegensatz zu anderen Reptilienarten erfreut sich die Europäische Sumpfschildkröte in der Bevölkerung einer gewissen Popularität und stößt bei einem weiten Kreis von Schildkrötenhaltern auf großes Interesse. Entsprechend vielfältig und zahlreich waren und sind denn auch die Bestrebungen, diese attraktive Schildkröte in verschiedenen Gewässerkomplexen anzusiedeln oder wiederanzusiedeln. Grundsätz lich begrüßt die karch diese Bemühungen, setzt sich aber vehement dafür ein:

  • Dass diese Aktivitäten nicht ziellos und unkoordiniert erfolgen
  • Dass die Naturschutzgesetzgebung und die Bewilligungspflicht der Kantone und des Bundes einschließlich der Richtlinien für eine Wiederansiedlung ausgestorbener Arten vollumfänglich respektiert werden
  • Dass eine fundierte Erfolgskontrolle langfristig zeigt, ob sich die Europäische Sumpfschildkröte im Wiederansiedlungsgebiet selbstständig über mehrere Generationen vermehren kann.

Aktuell laufen in der Schweiz drei Pilotprojekte zur Wiederansiedlung der Art, zwei davon in der Westschweiz, eines im Tessin. Erst die Ergebnisse der Erfolgskontrollen dieser drei Projekte werden zeigen, ob weitere Wiederansiedlungen getätigt werden sollten und wie die Zukunft der Europäischen Sumpfschildkröte in der Schweiz aussehen könnte.

Textautoren: Andreas Meyer & Sylvain Ursenbacher (Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz – karch)

Textquelle: Aktionsbroschüre zum Reptil des Jahres 2015 (hier als pdf herunterladen)

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